Nach Kopf-an-Kopf-Rennen ist Zukunft Hessens offen. | FDP legt sich bereits auf Gang in die Opposition fest. | Wiesbaden/Wien. Zum Schluss gab es Tränen der Enttäuschung - bei der hessischen SPD. Und das, obwohl die Partei der Polit-Aufsteigerin Andrea Ypsilanti der CDU soeben eine schwere Niederlage beigebracht hatte. Nach einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen war am späten Abend klar, dass die Konservativen mit wenigen tausend Stimmen voran liegen - der Triumph der SPD war verunziert.
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Doch an der Tatsache, dass die CDU in Hessen eine blamable Niederlage einstecken musste, konnte das nicht mehr ändern.
Nicht weniger als zwölf Prozent der Stimmen hat die Koch-Partei verloren, während die SPD unter Ypsilanti, die bis vor einem halben Jahr noch als chancenlos galt, gut sieben Prozent zulegen konnte. Beobachter sind sich weitgehend einig, dass Roland Koch in seinem Wahlkampf auf unpopuläre Themen gesetzt hatte. Die Kampagne gegen jugendliche Straftäter ist bei den Wählern nicht gut angekommen. Laut Meinungsforschern hat die CDU deshalb gerade bei den jüngeren Wählern an Sympathien verloren. Die Debatte, ob straffällige Jugendliche in Besserungslager gesteckt werden sollten, kam hier besonders schlecht an.
Klassische SP-Themen
Ypsilanti hingegen hat auf das klassische SPD-Thema Mindestlohn und einen konsequenten Anti-Atom-Kurs - eigentlich eine Domäne der Grünen - gesetzt. Außerdem kündigte die Polit-Aufsteigerin an, die von Koch eingeführten Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester wieder abschaffen zu wollen - ein Ansatz, der offenbar zum Erfolg geführt hat.
Unterdessen haben sowohl CDU als auch SPD Anspruch auf die Bildung der hessischen Landesregierung erhoben. "Der Weg ist vorgezeichnet, dass Andrea Ypsilanti hier Ministerpräsidentin werden kann", so der SPD-Landespolitiker Norbert Schmitt. "Zunächst einmal gibt es einen Regierungsauftrag für die stärkste Partei", konterte hingegen Koch persönlich. Auch der hessische CDU-Politiker Michael Boddenberg war am Montag der Ansicht, dass der Wähler der CDU den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben habe. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla empfahl der SDP zudem, sich nicht so "aufzublasen".
Nachdem weder CDU und FDP noch SPD und Grüne im Wiesbadener Landtag über eine absolute Mandatsmehrheit verfügen, wird mit langwierigen Koalitionsverhandlungen gerechnet.
Die hessische FDP hat sich als drittstärkste Partei bereits auf die Oppositionsrolle festgelegt. Der stellvertretende Parteichef Dieter Posch schloss eine Koalition mit SPD und Grünen ebenso wie ein Zusammengehen mit CDU und Grünen - das so genannte Jamaika-Bündnis - aus. Man kann sich bei der FDP nur eine Koalition mit der CDU vorstellen - was angesichts des schlechten Abschneidens der Koch-Partei hinfällig ist. Die neu im Parlament vertretene Linke hat allerdings wiederholt klargemacht, dass sie eine Wahl Andrea Ypsilantis zur Regierungschefin unterstützen würde.
Die SPD-Chefin will zunächst Koalitionsgespräche mit der FDP und den Grünen führen. Vorbedingung für Gespräche mit der Union sei, dass die Partei ihre Niederlage bei der Hessen-Wahl einräume, sagte Ypsilanti am Montag in Wiesbaden.
Zur Person:Andrea Ypsilanti
Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti ist in nahezu jeder Hinsicht die Gegenfigur zu Ministerpräsident Roland Koch, dessen Büro in der Wiesbadener Staatskanzlei sie nun übernehmen könnte. Nach der Schule arbeitete sie zeitweise als Sekretärin, dann als Stewardess und studierte schließlich Soziologie. 1986 trat sie der SPD bei. 1999 zog sie in den hessischen Landtag ein.
Vier Jahre später wurde sie Landesvorsitzende ihrer Partei; dennoch musste sie sich die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl erkämpfen. Nach monatelangem internen Tauziehen setzte sie sich Ende 2006 knapp gegen ihren Konkurrenten Jürgen Walter durch. Kurz darauf übernahm sie von ihm die Führung der Landtagsfraktion.
Den Nachnamen hat die geborene Andrea Dill nach einer geschiedenen Ehe mit einem Griechen behalten - mehrere Freiheitshelden in der griechischen Geschichte hießen ebenfalls Ypsilanti. Heute lebt sie mit neuem Partner, ihrem Sohn und einer zweiten Familie in einer Wohngemeinschaft am Frankfurter Stadtrand.
Roland Koch
Hessens Ministerpräsident Roland Koch, geboren am 24. März 1958, wuchs in einer politischen Familie auf. Der junge Koch entwickelte deshalb schon früh politische Ambitionen: Mit 14 gründete er in seiner Heimatstadt Eschborn einen Ortsverband der Jungen Union.
Der Vater Karl-Heinz Koch wurde 1987 Justizminister der ersten christdemokratischen Regierung Hessens, zugleich zog der Junior erstmals in den Landtag ein. Vier Jahre später war das Nachwuchstalent schon CDU-Fraktionschef, 1998 wurde er Landesparteichef. 1999 bewies er zum ersten Mal sein Talent als Wahlkämpfer. Mit seiner Unterschriftenkampagne gegen die Einführung doppelter Staatsbürgerschaften sicherte er den Sieg über Rot-Grün. 2003 wurde er mit absoluter Mehrheit wiedergewählt.
Kochs jüngste Angriffe auf "junge kriminelle Ausländer" kamen beim Wähler aber nicht an. Der Mann der unpopulären Entscheidungen hat wohl auch unterschätzt, wie viele Wähler seine Regierung verprellt hat.
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