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Lipobay: Gerät nun auch Konkurrenz unter Druck?

Von Christa Karas

Wissen

Während eine Mehrzahl der Ärzte auch nach dem Rückzug des Medikaments Lipobay von Bayer noch von der seitens der Industrie oftmals beteuerten (und stark beworbenen) segensreichen Wirkung derartiger Medikamente überzeugt ist, nehmen zumindest US-Verbraucherschützer nun auch andere Cholesterin-Senker ins Visier. So warnte etwa die Organisation "Public Citizen" in San Francisco vor den Nebenwirkungen verschiedener Konkurrenzprodukte.


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Der Fachwelt war seit langem bekannt, dass Cholesterin-Senker aus der Gruppe der so genannten Statine zu Muskelbeschwerden, bei erheblicher Überdosierung sogar zu einer unter Umständen lebensgefährlichen Muskelzersetzung führen können, der so genannten Rhabdomyolyse. Schwere Nebenwirkungen sind, wie berichtet, vor allem bei der Kombination des Lipobay-Wirkstoffs Cerivastatin und einem anderen Blutfett senkenden Stoff, Gemfibrozil, aufgetreten.

Gemfibrozil soll in Japan erst in Kürze zugelassen werden. Dem japanischen Gesundheitsministerium sind nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Jiji Press aber 84 Fälle von Nebenwirkungen in Zusammenhang mit Lipobay bekannt, obwohl Gemfibrozil nicht eingenommen wurde. Das Ministerium hatte daher bereits ein Verbot von Lipobay erwogen. Bayer kam dem zuvor, indem der Konzern den Cholesterinsenker nun auch dort vom Markt genommen hat.

Insgesamt liegen Bayer bisher weltweit 1.114 Berichte über Verdachtsfälle auf Muskelzersetzung in Verbindung mit dem Lipobay-Wirkstoff Cerivastatin vor, teilte das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit.

"Public Citizen" zufolge soll es weiters in den USA durch Lipobay-Konkurrenzprodukte 52 Todesfälle gegeben haben. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) wollte diese Zahl allerdings zunächst nicht bestätigen, sondern nannte Hinweise auf 18 Todesfälle im Zusammenhang mit fünf Lipobay-Konkurrenten. Die Verbraucherschützer verlangen nun von der FDA, dass diese Arzneimittel nur mit einem gesonderten Warnschreiben ausgegeben werden dürfen.

Umkämpfter Markt

Nun ginge man wohl zu weit, die Lipobay-Affäre mit Verschwörungstheorien in Zusammenhang zu bringen, aber das faktische Zusammentreffen unmittelbar vor Bekanntgabe wichtiger Bayer-Geschäftsdaten ist ebenso Faktum wie die seinerzeitige Prognose von Analysten, dass dies dem Erfolg der Statine vor allem auf dem US-Markt, auf dem der deutsche Konzern mit seinem "Nachzügler" Lipobay ohnehin nur ein verhältnismäßig kleiner Fisch war, insgesamt nicht schaden werde, so die Konkurrenz ihren Vorteil aus dem Desaster richtig ausspiele.

Was die Giganten wie Pfizer, Bristol Myers-Squibb und Merck, aber auch Novartis natürlich umgehend taten. Mit dem Effekt, dass Ärzte weltweit öffentlich versicherten, dass es gefährlich wäre, Behandlungen mit Cholesterin-Senkern abzubrechen, weil diese Medikamente insgesamt lebensrettend seien. Wobei im Fall von Pfizer noch andere Interessen hinzu kommen dürften, muss der Konzern doch neuerdings um sein Potenzmittel-Monopol (Viagra) fürchten, seit auch andere Firmen (wie etwa Bayer mit Vardenafil) solche entwickelt haben, die obendrein anders ansetzen und daher weniger Nebenwirkungen haben dürften. (Bisher werden notabene weltweit fast 1.000 Todesfälle in Verbindung mit Viagra gebracht.)

Andererseits hatte auch Bayer laut "Focus" versucht, noch bis zuletzt neue Anwendungsgebiete für Lipobay zu erschließen und ein Modellprojekt zur Vorbeugung gegen Schlaganfälle und geistigen Verfall gestartet. Weshalb deutsche Politiker, Gesundheitsbehörden und die Krankenkassen - die ja die Kosten für die teuren Cholesterinsenker tragen, obwohl deren Nutzen unbewiesen ist - einmal mehr untersuchen wollen, mit welchen Mitteln (Werbegeschenke, Luxusreisen, fingierte Fortbildungsveranstaltungen?) Ärzte zu einer wohlwollenden Haltung gegenüber Medikamenten wie Lipobay gebracht wurden und werden.

Cholesterin-Senker in der Ernährung

Unterdessen behaupten deutsche Ernährungswissenschafter, dass man einen erhöhten Cholesterinspiegel oft auch "ganz natürlich" in den Griff bekommen könne. Heidi Braunewell, Dozentin der Reformhaus-Fachakademie im hessischen Oberursel: "Zahlreiche Studien zeigen, dass leicht bis mäßig überhöhte Cholesterinwerte mit der richtigen Ernährung, Naturarzneimitteln und ausreichender Bewegung dauerhaft um zehn bis 20 Prozent gesenkt werden können." Dies sei genauso effektiv wie eine rein medikamentöse Therapie. Um den Blutfettspiegel zu senken, werden Obst, Gemüse, Fisch, Erdäpfel und Hülsenfrüchte, fettarm und schonend zubereitet, empfohlen.