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Lippenbekenntnis Chancengleichheit

Von Petra Tempfer

Wirtschaft

"Jeder, der erwerbslos zuhause sitzt, geht der Wirtschaft als Kunde verloren."


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Wien. "Nachdem ich mit 18 Jahren im Griechenland-Urlaub ins Meer gesprungen bin, wollte ich die Konsequenzen nicht wahrhaben: Ich habe mir dabei mehrere Halswirbel gebrochen und musste akzeptieren, dass ich nie mehr gehen kann", sagt Gregor Demblin, der vor vier Jahren die Online-Plattform "Career moves" als erste Jobbörse, die sich auch an behinderte Menschen richtet, mitgegründet hat. Noch größer sei der Schock allerdings gewesen, als er realisierte, dass man als Behinderter nicht ernst genommen und einem nichts zugetraut wird.

Vermutlich der Hauptgrund, warum nur ein Bruchteil der insgesamt 1,2 Millionen leicht bis schwer behinderten Menschen (entspricht 15 Prozent der Bevölkerung) einem Beruf nachgeht. Etwa 60.000 Arbeitnehmer weisen eine mindestens 50-prozentige Behinderung auf, das entspricht einem Anteil von eineinhalb Prozent. Darüber, wie viele leicht behinderte Menschen im Berufsleben stehen, gibt es laut Demblin zwar kein eindeutiges Zahlenmaterial - Fakt sei jedoch, dass jeder, der untätig und erwerbslos zuhause sitzt, der Wirtschaft als potenzieller Kunde verloren gehe.

Widersprüchlich scheint dabei das Ergebnis einer Umfrage von "Career moves" unter mehr als 250 Unternehmen, das am Dienstag präsentiert worden ist. Stehen doch demnach 75 Prozent der Betriebe der vorherrschenden Einstellungspflicht eines behinderten Menschen pro 25 Arbeitnehmer positiv gegenüber - obwohl derzeit drei von vier verpflichteten Unternehmen lieber eine Ausgleichstaxe von bis zu 355 Euro pro Monat zahlen, anstatt einen Behinderten zu beschäftigen.

Bleibt die viel gepriesene Chancengleichheit also ein Lippenbekenntnis? Laut Studie wünschen sich jedenfalls 90 Prozent der Betriebe eine stärkere Integration - sie sehen jedoch ein massives Ungleichgewicht bei den Möglichkeiten für behinderte und nicht behinderte Menschen. Es fehle an Information und Aufklärung, um die Angst vor einer Anstellung behinderter Menschen zu nehmen, so die Conclusio.

Kündigungsschutz gelockert

"Diese müssen wie alle anderen Menschen die Chance auf ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben erhalten", meint dazu Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Bereits 2011 sei zu diesem Zweck der Kündigungsschutz für Menschen mit mindestens 50-prozentiger Behinderung gelockert worden: Statt wie davor nach sechs Monaten setzt nun erst nach vier Jahren der erhöhte Kündigungsschutz ein, damit Arbeitnehmer nicht mehr vor einer Anstellung zurückschrecken. Zudem wurde die Ausgleichstaxe erhöht. Bis zu 300 Euro monatlich werden indes zugeschossen, wenn man einen Behinderten beschäftigt. Für die Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche und -sicherung werden heuer laut Hundstorfer 170 Millionen Euro aufgewendet.

Von einer Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt, wie es sie etwa in den USA gibt, ist man laut Demblin dennoch weit entfernt. Hierzulande werde vor allem die Behinderung gesehen - nicht die Leistung.