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Liquiditätsfälle: Warum die Pferde nicht trinken wollen

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Banken müssen trotz Rekordtief der Zinsen auf Kreditbremse steigen. | Weshalb Bad Banks eine Lösung sein könnten. | Wien. "Man kann die Pferde zwar zur Tränke führen. Man kann sie aber nicht zwingen, das Wasser auch zu saufen." Dieser Satz, der auf den momentan viel zitierten Ökonomen John Maynard Keynes (1883 bis 1946) zurückgeht, beschreibt das Dilemma der Notenbanken: Sie können zwar Geld bereitstellen, den Kreditprozess selbst aber nicht direkt beeinflussen.


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Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt Janwillem Acket, Chefökonom der Schweizer Privatbank Julius Bär, die aktuelle Liquiditätsfalle mit einer originellen Erweiterung von Keynes´ Bildsprache.

Konträre Kommandos: Mehr oder weniger?

Demnach steht im Moment eine große Zahl von Pferden - die Geschäftsbanken - vor Brunnen, die üppig mit Wasser gefüllt wurden. Das Wasser symbolisiert die Liquidität, die von den Zentralbanken als billiges Geld in den Markt gepumpt worden ist, etwa durch extrem niedrige Leitzinsen. Viele Brunnen sind bereits überflutet, sodass die Pferde bis zum Bauch im Wasser stehen. "Die Zentralbanken sehen: Wir sind zum Teil schon bei Null-Prozent-Zins angelangt, aber die Pferde trinken immer noch nicht - der Kreditprozess ist unterbrochen", erklärt Acket.

Dabei sei die Geldmenge explodiert, sagt der Ökonom: "Wir hatten allein im vierten Quartal 2008 bei den 26 wichtigsten Zentralbanken ein Plus der Notenbank-Geldmenge von 51 Prozent. So etwas haben wir nie zuvor gesehen."

Diese enorme Steigerung der Notenbank-Geldmenge - also des Geldes, das in Umlauf und bei der Zentralbank angelegt ist - führte aber zu keiner adäquaten Steigerung des Buchgeldes, das auch die Sicht-, Spar- und Termineinlagen umfasst: Diese breite Geldmenge bewegte sich kaum vom Fleck und ist im selben Zeitraum nur um sieben oder acht Prozent gestiegen.

Die Schlussfolgerung: Die Geldschöpfung funktioniert nicht richtig. Normalerweise "vermehren" die Banken das von den Zentralbanken ausgegebene Geld, indem sie Kredite vergeben. Daraus entsteht ein Kreislauf: Das geliehene Geld fließt in den Konsum, wird vom Empfänger auf eine Bank getragen, und so fort. Jetzt wirken die Banken aber nicht mehr im gewohnten Maß als Multiplikatoren, weil sie selbst ihre Bilanzen abspecken müssen.

Zudem wird in der Krise Risiko gescheut. "Die Banken sagen sich: Die Liquidität, die ich von der Zentralbank bekommen habe, lasse ich zur Sicherheit lieber im Brunnen, also etwa bei der Europäischen Zentralbank als Reserve liegen."

Warum kommt der Kreditprozess nicht in Gang? Die Staaten helfen den Banken zwar mit Kapitalspritzen, üben aber zugleich Druck aus, damit diese die Kreditvergabe forcieren. Acket: "Bei einigen Pferden sitzt jetzt ein staatlicher Reiter drauf und fordert mit der Peitsche: Trink endlich! Allerdings haben sich die Banken in der Vergangenheit viel zu üppig gelabt. Deshalb steht zur gleichen Zeit dahinter die Finanzmarktaufsicht, die dem Gaul vorschreibt: Du hast einen zu dicken Bauch, du musst entschlacken." - Ein fast unlösbarer Zwiespalt.

Die Idee der Bad Bank: Das Fett muss weg

An dieser Stelle kommt die Idee der Bad Bank ins Spiel: Das schädliche Fett muss weg, damit die Pferde wieder trinken. Das Abspecken darf jedoch die Substanz der Pferde nicht so stark angreifen, dass sie daran zugrunde gehen. Mit anderen Worten: Die fragwürdigen Wertpapiere müssen aus den Bankbilanzen verschwinden, ohne dass das Eigenkapital aufgebraucht wird.

"Dazu muss die Finanzmarktaufsicht die Fettspritze ansetzen und die schädliche Masse absaugen", erklärt Acket. "Die Pferde können dann wieder normal trinken. Der Müll kommt vorerst in einen Kübel (die Bad Bank) und wird einige Jahre nicht angetastet. Über die Bewertung der toxischen Wertpapiere können wir in ein paar Jahren reden, denn wenn wir jetzt nach dem Marktwert bewerten und abschreiben müssten, dann würde es das Eigenkapital der Banken wegfressen. Wenn wir aber Zeit gewinnen, wird sich der wahre Wert herauskristallisieren - dann kann man Teile des Fettes wieder verwerten."

Ein ähnliches Modell hat die Schweiz mit der Großbank UBS umgesetzt: Toxische Wertpapiere vor allem aus dem US-Hypothekenmarkt im Wert von bis zu 40 Milliarden Dollar wurden ab Oktober 2008 in eine Bad Bank namens "StabFund" ausgelagert, die von der Schweizerischen Nationalbank geführt wird.

Acket: "Diese hat momentan keine Ahnung, was das Zeug effektiv wert ist. In den Büchern der UBS war es mit 40 Milliarden Dollar bewertet." Der Staat entsendet einen Aufseher, lieferte der Bank obendrein aus Steuergeldern eine Kapitalspritze von 6 Milliarden Franken. Der Effekt: Die faulen Papiere sind aus der Bankbilanz verschwunden und können bei der "StabFund" über einen langen Zeitraum abgeschrieben werden. An dem, was sich als werthaltig erweist, bedient sich erst die Nationalbank - quasi als Gebühr für die Verwaltung der Bad Bank - und erst, wenn eine bestimmte Summe erreicht wurde, erhält die UBS als Zehn-Prozent-Minderheits-Aktionärin der "StabFund" einen kleinen Teil zurück.

Heikler Schwenk: Liquidität muss raus

Ein anderes Problem ist damit nicht gelöst: der Geldüberschuss. Sobald die Pferde normal trinken, müssen alle Abflüsse aufgerissen und die Brunnen geleert werden. Übersetzt heißt das: Die Zentralbanken müssen die Zinsen anheben. "Und zwar nicht in siebzehn Viertel-Prozent-Schrittchen, wie es Ex-US-Notenbankchef Alan Greenspan von 2004 bis 2006 gemacht hat. Das muss mit 50, 75, vielleicht 100 Basispunkten gehen. Es gibt sonst einen Riesen-Geldüberhang", warnt Acket.

Für die Aktienmärkte werden diese Zinssprünge massive Schwankungen bedeuten. "Wir haben ein Rollercoaster-Szenario vor uns. Diese Übergangsphase ist ganz heikel. Und meine Sorge ist, ob die Zentralbanken das rechtzeitig schaffen werden." Angesichts der hohen Staatsverschuldung durch die Konjunkturpakete könnte das Szenario sonst sehr rasch in eine hohe Inflation umschlagen.