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Lissabon ist längst passé

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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"Die Finalität der EU", so zeigte sich noch 2009 der Philosoph Rudolf Burger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" überzeugt, "heißt Lissabon." Eine noch tiefere Integration, als sie gerade eben in diesem Vertrag unter erheblichen politischen Schmerzen erreicht wurde, sei gegen den zunehmend stärker werdenden Widerstand vieler Bürger in immer mehr Mitgliedstaaten nicht durchsetzbar.

Zumindest so viel lässt sich heute, nachdem sämtliche Dimensionen der Schuldenkrise offen liegen, mit Gewissheit sagen: Entweder rückt Europa noch enger zusammen, oder die gemeinsame Währung - und damit der sichtbarste Ausweis aller bisherigen Integrationserfolge - wird zerfallen. Bei Lissabon stehen zu bleiben, ist jedenfalls längst keine politische Alternative mehr, nicht für die Politik und auch nicht für die Bürger.

Nun kocht die Diskussion über Eurobonds, also gemeinsame europäische Anleihen, wieder hoch. Befürworter sehen darin den ebenso logischen wie notwendig gewordenen nächsten Schritt der gemeinsamen Währungszone. Auf diese Weise könnten, so die Hoffnung, die Refinanzierungssorgen der Problemländer nachhaltig beseitigt werden.

Klingt wunderbar. Das Problem ist, dass es für die Einführung gemeinsamer Anleihen keine rechtlichen - und damit auch keine demokratiepolitischen - Voraussetzungen gibt. Daran ändert auch der Hinweis nichts, dass der Euro-Rettungsschirm bereits Elemente einer gemeinschaftlichen Schuldenhaftung in sich trägt. In der aktuellen Krise ist die Politik zur Improvisation gezwungen. Dass die Schuldenproblematik in Kombination mit den Konstruktionsmängeln beim Euro durchaus vorhersehbar war, die Warnungen aber offensichtlich niemand hören wollte, sollte zumindest für die Zukunft zu denken geben.

Die große Chance dieser Krise liegt darin, dass die Institutionen der EU nun auf Herz und Nieren geprüft werden. Der richtige Zeitpunkt, aus den Ergebnissen die entsprechenden politischen Schlussfolgerungen zu ziehen - für den Euro und für die Kompetenzen der Staaten -, ist jedoch nach Bewältigung der Krise. Dann ist es an den Bürgern zu entscheiden. Zumindest kann jetzt niemand mehr behaupten, er habe geglaubt, das europäische Eheversprechen gelte nur für die guten, nicht jedoch für die schlechten Tage.

Hoffentlich gewährt die Krise Europa noch die Zeit für diese Chance.