Zum Hauptinhalt springen

Litauen entscheidet über Auslieferung von Todeskandidaten

Von Alexander U. Mathé

Kommentare
Alexander U. Mathé

Ein Gericht in Vilnius hat den Asylantrag eines weißrussischen Deserteurs abgelehnt. Wird er nach Hause geschickt, droht ihm die Hinrichtung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Stepan Zakharschenka sollte töten. Bei aller Schauerlichkeit ist diese Forderung für einen Mann wie ihn nicht weiter überraschend und kommt quasi mit der Jobbeschreibung, denn der 22-Jährige ist Soldat in der weißrussischen Armee - Korporal, um genau zu sein. Doch das, was der Staat da von ihm verlangte, ging ihm zu weit, wie er berichtet. Er sollte sich schriftlich dazu verpflichten, seine Landsleute zu töten, wenn die Armee bei Massenprotesten einschreitet. Das konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Als er die Unterschrift verweigerte, wurde er krankenhausreif geschlagen, sagte Zakharschenka gegenüber der litauischen Gratiszeitung "15 min". Am 27. Juli 2011 schlich sich der Mann von seiner Einheit davon, überquerte - illegal - die Grenze zu Litauen und stellte sich umgehend der Polizei in der Hauptstadt Vilnius, wo er politisches Asyl beantragte. Doch das wurde ihm verwehrt. Das Gericht rechtfertigte die Entscheidung damit, dass dem Soldaten in Weißrussland keine unmittelbare Gefahr drohe, berichtet die "Lithuania Tribune". Wie die Richter zu dieser Ansicht gelangten, ist schwer nachvollziehbar. Wenn in einem Land regimekritische Journalisten verschwinden, Oppositionelle eingeschüchtert und verprügelt werden, was blüht dann wohl jemandem, der wegen Desertion, illegaler Grenzüberschreitung und Landesverrat verurteilt wird? "Langer Rede kurzer Sinn: eine Kugel in meinen Kopf", sagt Zakharschenka.

Wirklich willkommen wird er sich in Litauen wohl von Anfang an nicht gefühlt haben. Er berichtet, dass ihm weder ein Dolmetscher noch eine juristische Vertretung zur Seite gestellt wurden. Die Beamtin, die seinen Fall bearbeitete, habe nur schlecht russisch gesprochen und ihn dann seinen auf Litauisch geschriebenen Antrag - von dem er kein Wort verstand - unterschreiben lassen. Ihm sei gleich zu verstehen gegeben worden, dass sein Antrag abgelehnt würde. Für manchen Menschenrechtsaktivisten liegt die Vermutung nahe, dass es eine Kooperation mit den weißrussischen Behörden gebe.

Zakharschenka entschloss sich daraufhin während des noch laufenden Asylverfahrens und entgegen seinen Auflagen, weiter nach Norwegen zu fliehen, wo er gefasst und nach Litauen zurückgeschickt wurde. Sein Antrag wurde abgelehnt, wogegen er jedoch berufen hat. Inzwischen ist der Fall zum Politikum geworden. Allzu frisch ist noch die Erinnerung an den Fall Ales Bialiatski, in dem Litauen Informationen über das Bankkonto des oppositionellen Weißrussen an Minsk lieferte. Der Mann, der im Ausland Geld zur Unterstützung von Regimegegnern gesammelt hatte, sitzt seither im Gefängnis. Innenminister Arturas Melianas hat nun die Einwanderungsbehörde gebeten, den Fall Zakharschenka noch einmal zu überdenken, auch wenn die Entscheidung letztlich beim Gericht liegt und für heute, Freitag, erwartet wird. Fällt er negativ aus, würde der Richterspruch wohl weit über Litauen und Weißrussland hinaus gehört. Immerhin hätte dann ein EU-Staat einen Mann in die letzte Diktatur Europas zur fast sicheren Exekution zurückgeschickt.