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Ganz sicher werden es diesmal zwei Frauen, hieß es. Damit werde die Schwedische Akademie ein Zeichen setzen, nachdem sie sich im Vorjahr wegen eines Skandals rund um sexuelle Belästigung selbst ausgeschaltet hatte. Es kam anders. Die Jury für den Literatur-Nobelpreis hat wieder gezeigt, dass sie nicht so berechenbar ist. Und schon gar nicht so plump berechenbar.
Zum veritablen Erstaunen seiner selbst kürte man in Stockholm also Peter Handke zum diesjährigen Preisträger. Ja, schon, eine Frau wurde auch gewählt, aber wer meint, Olga Tokarczuk hätte die Auszeichnung (für das vergeigte Vorjahr) nur bekommen, weil sie eine Frau ist, schmälert ihr Werk beachtlich.
Es ist gut, dass sich die Jury nicht von ihrem schmählichen Aussetzer im Vorjahr beeinflussen hat lassen oder von kleingeistigen Erwartungen, wie sie jetzt zu handeln habe. Denn das unterstreicht, was die Auswahl für den Literatur-Nobelpreis nie sein sollte: ein Spielball politischer Korrektheit.
So gesehen hat sich die Akademie heuer besonders hinausgewagt mit der Wahl Handkes. Denn eine harmlose, politisch korrekte Entscheidung ist das keineswegs. Während sich am Donnerstag die offiziellen Reaktionen in Euphorie noch überschlugen, regte sich auf Sozialen Medien schnell Kritik. Denn seit Mitte der 1990er wird Handke die Verharmlosung serbischer Kriegsverbrechen vorgeworfen. Er sprach beim Begräbnis von Slobodan Milosevic und unterzeichnete Jahre zuvor einen Künstlerappell zur Verteidigung des als Kriegsverbrecher Angeklagten. Diesen Appell unterzeichnete übrigens auch Harold Pinter - er erhielt 2005 den Literatur-Nobelpreis.
Diese politische Komponente spielte also schon damals keine Rolle, und sie tat es auch diesmal nicht. Denn der Literatur-Nobelpreis soll keine Auszeichnung für politisch korrektes Verhalten sein. Er soll noch nicht einmal eine Auszeichnung für Haltung sein. Er soll nicht auszeichnen, dass man moralisch über alles erhaben ist. Denn, ganz ehrlich, wer sollte ihn dann jemals noch ohne Skrupel zuerkannt bekommen?
Handke wird nicht prämiert wegen, sondern trotz seiner diskussionswürdigen Einstellung zu Serbien. Der Literatur-Nobelpreis soll das herausragende, einflussreiche literarische Schaffen eines Künstlers belohnen, er soll vor den Vorhang holen, wer Sprache als Abenteuer versteht und vermittelt - wer will diese Leistung Handke absprechen?
Für die Literatur-interessierte Welt ist es eine gute Nachricht, dass die neuaufgestellte Akademie dieses Zeichen gesetzt hat: eine Besinnung auf die Ästhetik. Und ja, für die österreichische Welt ist es eine noch ein bisschen bessere Nachricht.