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Live-Bilder aus der Zelle

Von Thilo Resenhoeft und Till Mundzeck

Wissen

Klassische Mikroskope geben Forschern nur einen unvollkommenen Einblick in die Abläufe des Lebens. Lange Zeit war es damit lediglich möglich, tote Objekte in hoher Auflösung zu betrachten. Solche statischen Bilder zeigen jedoch nur einen kleinen Teil der Realität. "Stell' dir vor, die Regeln für Football anhand von 1.000 einzelnen Bildern eines Spiels verstehen zu wollen", erläutert Scott Fraser vom California Institute of Technology im Fachjournal "Science".


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"Die Bedeutung des Footballs wäre eindeutig, nicht aber, warum seine Position auf dem Feld für die Spieler so enorm wichtig ist." Krebsforscher und Entwicklungsbiologen arbeiten heute daher mit Geräten anderen Kalibers. In dunklen Laborräumen leuchten sie gentechnisch veränderten Tieren ins Gehirn, deren Nervenzellen im Licht von Laserstrahlen bunt aufleuchten, oder spritzen Nanopartikel in Zellen, um Proteine zu markieren.

Solche neuen Techniken können nicht nur Live-Bilder aus intakten Zellen liefern und damit die dynamischen Prozesse des Lebens für die Grundlagenforschung besser verständlich machen. Sie könnten zukünftig möglicherweise auch Krebs Monate oder sogar Jahre vor der Entstehung eines Tumors erkennen oder den Erfolg von Arzneimitteltherapien überprüfen, indem sie das molekulare Zusammenspiel zeigen, das biologischen Prozessen zu Grunde liegt.

Einer der größten Erfolge für die Mikroskopie lebender Strukturen ist der pazifischen Qualle Aequorea victoria zu verdanken. Sie produziert natürlicherweise ein Protein, das im UV-Licht intensiv grünlich schimmert. Das Gen für GFP (grün fluoreszierendes Protein) lässt sich gentechnisch an fast jede andere Erbanlage koppeln. Auf diese Weise hängt später eine leuchtende Markierung am gewünschten Protein, dessen Weg durch die Zelle sich damit verfolgen lässt. Je nach markiertem Protein leuchtet dann das Skelett, der Kern oder jede andere gewünschte Komponente der Zelle.

Zelle bleibt ungestört

Dieses Verfahren ist meist so schonend, dass sich die Zelle davon nicht stören lässt. Das macht einen weitgehend unverfälschten Einblick in die Maschinerie des Lebens möglich. Inzwischen gibt es mehrere GFP-Varianten, die durch ihren leicht veränderten Aufbau in unterschiedlichen Farben strahlen. Damit lassen sich zwei verschiedene Proteine in der Zelle markieren. Dies ist besonders interessant, wenn Forscher wissen möchten, welche Proteine zusammenarbeiten.

Ein Team um Umar Mahmood vom Massachusetts General Hospital hat zudem fluoreszierende Marker entwickelt, die beim Ankoppeln an ein Zielmolekül ihre Helligkeit oder ihre magnetischen Eigenschaften ändern. Mit solchen "intelligenten" Markern konnten die Forscher bei Krebsmäusen die Wirkung von Medikamenten live verfolgen. Sie spritzten den Tieren einen Leuchtstoff, der nur bei Anwesenheit eines bestimmten Krebsenzyms fluoresziert. Unter der Gabe eines Krebsmittels, das die Enzymproduktion hemmen soll, leuchteten die Tumore der Mäuse deutlich schwächer als ohne dieses Mittel. Auf diese Weise lässt sich die Wirkung einer Arznei sofort überprüfen, ohne monatelang die weitere Entwicklung eines Tumors beobachten zu müssen.

Auch mit Hilfe der Nanotechnologie lassen sich Einblicke in die Zellstruktur und dynamische biologische Prozesse gewinnen. Dazu dienen so genannte Quantenpunkte, etwa zehn Millionstel Millimeter kleine Kügelchen aus Cadmium-Selenid, die in unterschiedlichen Farben leuchten. Sie lassen sich zum Beispiel mit Antikörpern an ihren Bestimmungsort dirigieren und zeigen unter der richtigen Beleuchtung die gewünschten Zellstrukturen. Einen negativen Einfluss auf die Zelle haben auch diese Partikel nach dem bisherigen Stand des Wissen nicht: Schleimpilze stören sich nicht daran, und Froschlarven wachsen mit den Kügelchen im Körper ebenso heran.

Die Beobachtung molekularer Vorgänge in der Zelle kann in der Medizin nach Einschätzung vieler Experten zu besseren Diagnosemöglichkeiten und effektiveren Behandlungen führen. "Schon in zehn Jahren könnten molekulare Bildgebungsverfahren Mammographien, Biopsien und andere Diagnosetechniken ersetzen", schrieb US-Fachmagazin "Technology Review". dpa