Zum Hauptinhalt springen

Liveübertragung inklusive

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Taliban-Kämpfer verüben Anschlag auf Parlament in Kabul.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kabul. Die aufständischen Taliban haben am Montagmorgen das afghanische Parlament in Kabul angegriffen und dabei mindestens fünf Menschen getötet und 31 verletzt, wie afghanische Medien mitteilten. In der mit schwarzem Rauch gefüllten Volksvertretung spielten sich chaotische Szenen ab, als Parlamentarier Deckung suchten, während Explosionen das Gebäude erschütterten. Auf dem hochgesicherten Gelände lieferten sich ein gutes Dutzend Angreifer mit den Sicherheitskräften über eine Stunde lang Feuergefechte. Die Taliban bekannten sich umgehend zum Angriff.

"Der Anschlag ist vorbei. Sieben Attentäter waren beteiligt", erklärte kurz darauf ein Sprecher des Innenministeriums. Einer der Attentäter hatte zunächst ein Auto vor dem Parlament an der Darulaman Road in der afghanischen Hauptstadt in die Luft gesprengt, um den Weg zum Gebäude frei zu machen. Danach versuchte eine Gruppe von sechs Dschihadisten mit Sprengstoffwesten und Maschinengewehren, das Gebäude zu stürmen. Alle sechs wurden laut Behörden von den Sicherheitskräften erschossen.

Die Volksvertreter befanden sich gerade in einer Debatte über die Besetzung des Chefpostens im Verteidigungsministerium, die vom Fernsehen live übertragen wurde - ebenso wie in der Folge der Anschlag. Alle Parlamentarier konnten aus dem Gebäude gerettet werden. Einige der Abgeordnete wurden durch Granatsplitter leicht verletzt.

Der Anschlag erfolgte mitten im muslimischen Fastenmonat Ramadan, der traditionell für die Gläubigen als Zeit des Friedens und der Versöhnung gilt. Doch bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass der Ramadan heuer eine Atempause für die leidende Bevölkerung in Afghanistan bringen könnte: Die Kämpfe zwischen den Aufständischen und der schwachen Regierung gehen unvermindert weiter. Laut Angaben der UNO wurden in den ersten vier Monaten des heurigen Jahres bereits knapp 1000 Zivilisten getötet - deutlich mehr in gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Taliban rückenauf Kunduz vor

Am Montag fiel mit dem Archi-Distrikt ein weiterer Bezirk im Norden des Landes in die Hände der Taliban. Die radikal-islamischen Kämpfer rücken damit weiter auf die Stadt Kunduz vor. Der Gouverneur der gleichnamigen Provinz, Nasruddin Saeedi, hat die Stadt bereits verlassen, nachdem die Aufständischen auf nur wenige Kilometer vor seinen Amtssitz vorgerückt sind. Die deutsche Bundeswehr war im Zuge des Nato-Einsatzes bis 2013 in Kundus stationiert.

Der Fall der Stadt Kunduz wäre eine schwere Blamage für das Verteidigungsbündnis, das Ende 2014 die Kampfmission am Hindukusch für abgeschlossen erklärt und die Sicherheitsverantwortung komplett in die Hand der afghanischen Sicherheitskräfte gelegt hat. Die Nachrichten über die Situation vor Ort sind widersprüchlich. Während die Taliban behaupten, dass sie kurz davor seien, die Stadt mit rund 300.000 Einwohnern einzunehmen, erklärt die Regierung, es gebe keinen Anlass zur Sorge. Dennoch haben die Bewohner begonnen, Kunduz zu verlassen. Es ist die fünftgrößte Stadt Afghanistans und liegt auf der einzigen Straßenverbindung in die Provinzen Badakshan und Takhar, die mit dem Fall von Kunduz ebenso an die Taliban fallen würden.

Seit Monaten kämpfen die Taliban und Regierungstruppen in den Nordprovinzen um strategische Gebiete. Dies ist deshalb besonders bemerkenswert, weil die Taliban, deren Führer aus dem Süden des Landes stammen, im Norden des Landes lange Zeit kaum präsent waren.

All dies nährt Zweifel daran, ob Afghanistans Armee und Polizei überhaupt in der Lage sind, den Taliban zu trotzen, die inzwischen immer mehr Teile des Landes kontrollieren. Selbst in der lange als relativ sicher geltenden Hauptstadt Kabul reißen Terroranschläge auf Polizei, Militär und Zivilisten nicht mehr ab.

Die Taliban brüsteten sich jüngst auch damit, sie hätten eine Telefon-Hotline eingerichtet, um Regierungsangestellten, aber auch Polizisten und Armeeangehörigen die Möglichkeit zu geben, zu den Aufständischen überzulaufen. "Das Islamische Emirat will jedem Sicherheit bieten, der sich vom Marionetten-Regime in Kabul abwendet", heißt es auf der Website der Taliban, die sich selbst als "Islamisches Emirat von Afghanistan" bezeichnen.

Neben den aufständischen Taliban ist inzwischen auch der "Islamische Staat" (IS) in Afghanistan aktiv, der Teile Syriens und des Irak kontrolliert, sodass beide radikale Gruppierungen nun in Afghanistan konkurrieren. Dem IS ist es gelungen, den Taliban eine Reihe von Kämpfern und Kommandeuren abzuwerben. Die Konkurrenzsituation hat dazu geführt, dass die Taliban verstärkt Anschläge mit hohem propagandistischem Wert verüben, um sich von IS abzusetzen, der in Afghanistan noch eine schwache Kraft darstellt. Der Angriff auf das Parlament in Kabul gehört dazu.