Das Verschieben von OPs und die Angst vor Corona-Infektionen in Krankenhäusern hatte unerwünschte Nebenwirkungen: mehr letale Herzinfarkte zum Beispiel. Mehr Telemedizin bei der Erstabklärung von Covid-19 könnte das System entlasten.
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Eine Studie des Universitären Herzzentrums Graz an steirischen Landeskrankenhäusern, die die Kages betreibt, zeigte Dramatisches: Während der sechs Wochen Corona-bedingten Lockdowns sind um 23 Prozent weniger Patienten mit Herzinfarkten, Lungenembolien und Aorta-Einrissen aufgenommen worden. Die Sterblichkeit der Patienten, die kamen, war darüber hinaus um 65 Prozent höher als in den vier Vergleichsjahren davor. "Was insbesondere auf Herzinfarkte zurückzuführen ist, wo wir von einer 80 Prozent höheren Sterblichkeit als davor sprechen", erläutert Kardiologe Heiko Bugger, einer der Studienautoren der "Wiener Zeitung".
Auch wenn die Gründe fürs Zuhause Bleiben statt die Rettung zu rufen und ins Spital zu fahren, schwierig zu erheben sind. Die Vermutung, dass Angst vor einer Sars-CoV-2-Ansteckung eine Rolle gespielt hat, ist naheliegend. Manche wollten möglicherweise auch das Systems nicht belasten. Andere kamen spät, zu spät: Von den 148 heuer Behandelten verstarben 16. Im Vergleichzeitraum der Jahre davor verstarben durchschnittlich vier bis fünf von 190 Herzinfarktpatienten.
Bewusstes Verschieben geplanter Behandlungen
Vor allem aber wurden während des Lockdowns geplante Behandlungen verschoben, um die Kapazitäten in den Spitälern für Covid-19-Patienten frei zu halten. Mit dem 16. März, der Kalenderwoche zwölf, ging die Anzahl an stationären Krankenhausaufenthalten österreichweit rasant zurück: Zwei Wochen vor dem Lockdown waren es noch 63.500, nun aber nur noch 36.000. In der zweiten Woche sanken sie nochmals auf 29.000 - das ist ein Minus von mehr als 50 Prozent gegenüber 2019 und den Wochen davor. Anfang Mai stieg die Anzahl der stationären Aufenthalte auf 40.000 ein. Seit Mitte Juni pendeln sie sich zwischen knapp 53.000 und 56.000 ein.
Auch in den Krankenhäusern der Kages wurden 13.000 geplante Behandlungen und Operationen verschoben. Mit ebenfalls mitverschobenen sonst notwendigen Untersuchungen rundherum ging das Aufkommen um 50 Prozent zurück, erläutert Kages-Unternehmenssprecher Reinhard Marczik. "Kaum in der Unfallchirurgie, weil es da ja auch Haushaltsunfälle gab. Auch in der Gynäkologie wenig, weil Geburten ja nicht verschiebbar sind."
Der Rückstau ist vielmehr auf die zahlenmäßig weit größere Orthopädie, Knie-, Hüft- und Schulter-Operationen und die Augenheilkunde mit der sonst häufigen Grauer-Star-OP zurückzuführen. Nur 2000 bis 3000 der verschobenen Behandlungen wurden bislang noch nicht nachgeholt: "Und auch das zum Teil auf Wunsch der Patienten, die manches erst 2021 machen lassen wollen", sagt Marczik. In den Kages-Krankenhäuser werden übrigens jährlich 1,3 Millionen Patienten behandelt, 300.000 davon stationär.
Akutpatienten wurden während des Lockdowns wie sonst auch versorgt, versichert Wolfgang Weismüller, Vizepräsident der Ärztekammer und Kurienobmann der angestellten Ärzte: "Kein Patient mit Herinfarkt wurde nach Hause geschickt."
Auch wenn Weismüller unerwünschte Nebenwirkungen der verschobenen Behandlungen, wie etwa Magengeschwüre von Patienten, die mangels Operation weiterhin Medikamente gegen die Hüftschmerzen eingenommen hat, nicht ausschließen kann: "Solche Folgen - oder auch, wenn eine Krebsdiagnose später passiert ist -, sind im Nachhinein nicht so einfach festzustellen, wie ein übergangener Herzinfarkt oder ein leichter Schlaganfall."
Mögliche Online-und Telefon-Triage
Die Kosten der Spitäler blieben, weil das Personal für Covid-19-Fälle vorgehalten wurde, zumindest gleich, sofern sie nicht beim Abbauen von Rückstaus mit mehr Personal sogar gestiegen sind. Die Länder, die den Abgang von Spitälern finanzieren, erhalten aber weniger Steuereinnahmen, weist IHS-Gesundheitsökonom Thomas Czypionka auf wirtschaftliche Folge hin.
Wobei es auch Lerneffekte gibt: Selbstzuweiser in Ambulanzen gibt es mit Terminvergabe und Abklärung vorab nicht mehr so wie früher. Da kommen nun eher Haus- und Fachärzte als Spitäler zum Zug. Überhaupt könnte das mittlerweile mehr als Corona-Hotline bekannte Gesundheitstelefon 1450 eine größere Rolle beim Abklären von Symptomen vor dem Weg ins Spital spielen, "sofern es die Ressourcen dafür gibt", sagt Czypionka.
Mit mehr Hausärzten, die Infektionspatienten von anderen trennen können, Covid-19-Antigen-Schnelltests in den Praxen wird der Arztbesuch auch wieder einfacher. "Auch ein fieberndes Kind sollte nicht erst zu Hause Tage auf Testergebnisse warten, sondern bei anderen Infektionen vom Arzt behandelt werden."
Patientenanwalt Gerald Bachinger schlägt vor, 1450 um eine webbasierte Variante zu erweitern, damit die Telefone weniger als heute glühen: "Es gibt bereits Symptomchecker für Covid-19 zum Beispiel, da sind nicht Herzinfarkt oder Schlaganfall-Symptome gemeint."
Denn da sind sich alle Ärzte einig. Bei Brustschmerzen, die in den Rücken oder in den Arm ausstrahlen und mit einem Angstgefühl verbunden sind, besteht Herzinfarktgefahr. Sprach- oder Sensibilitätsstörungen oder Lähmungserscheinungen sind Symptome für einen Schlaganfall. "Bitte klassisch die Rettung 144 rufen!", sagt Weismüller. Eine rasche Spitalsbehandlung erhöht nicht nur die Überlebenschancen, sie kann oft verhindern, dass eine dauerhafte Herzschwäche bleibt. Angst vor einer Ansteckung sollte Patienten bei solchen Entscheidungen jedenfalls nicht leiten. Denn auch Spitäler haben die Hygiene nochmals ausgebaut, sagt Bachinger. Das könnte in Zukunft auch so manche Übertragung multiresistenter Keime verhindern.