)
"Ich glaube nicht an Kreativität", sagt Wolfgang Erharter. Der Unternehmensberater und ausgebildete Musiker hält nämlich Kreativität für einen "sinnleeren Begriff". Kreative Erfolge beruhen seiner Meinung nach auf hartnäckiger Produktivität.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Man kann sich den Kongress mit dem Titel "Innovation. Kreativität. Zukunft" sehr gut vorstellen. Auch die Akteure kann man sich sehr gut vorstellen, zum Beispiel die Personalleiterin einer Bank, die dort das Mikrofon ergreift und lauthals fordert: "Wir brauchen mehr Kreativität im Unternehmen!" Oder den Eventmanager, der enthusiastisch ausruft: "Wir brauchen einfach mehr Spontaneität!" Man kann sich die Stimmung, die sich da unter den honorigen Herrschaften allmählich aufschaukelt, sehr gut vorstellen. Und natürlich kann man sich auch vorstellen, dass der Satz, den Wolfgang Erharter an den Beginn seines Beitrags stellt, Befremden hervorruft: "Ich glaube nicht an Kreativität." Dabei handelt es sich in Wahrheit um ein Zitat aus einem Text von Peter Drucker, dem Begründer der modernen Management-Theorie. Vollständig lautet das Zitat: "Ich glaube nicht an Kreativität, ich glaube an die Produktivität." Und es stammt aus dem Brief, mit dem Drucker, der bis ins hohe Alter zahlreiche bahnbrechende Bücher verfasste, seine Teilnahme an der psychologischen Studie eines prominenten Wissenschaftlers über kreative Persönlichkeiten ablehnt.

Wolfgang Erharter, Jahrgang 1965, wurde seit seinem zehnten Lebensjahr auf der Violine ausgebildet und wechselte zehn Jahre später zum Jazz. Er kam also, als er in reiferen Jahren den Weg zum Unternehmensberater einschlug, aus einer Branche, die für seine neuen Kunden die Welt der Kreativen schlechthin verkörperte. Gerade deswegen kann er einigermaßen glaubhaft darlegen, dass die Kreativität, nach der sich so mancher Firmenchef sehnt, ein leerer Mythos ist. In seiner Zeit als Musiker hat er die Bemerkung von Thomas Edison, des Erfinders der Glühbirne, zu schätzen gelernt, der zufolge Kreativität zu einem Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration sei. Oder mit den Worten eines Kollegen aus der Jazzbranche: "Natürlich übe ich Technik. Sonst kann ich ja die Ideen nicht frei ausdrücken!"
Deswegen legt er in seinem Buch "Kreativität gibt es nicht" den Schwerpunkt auf die Rahmenbedingungen der disziplinierten Arbeit, auf der seiner Meinung nach die "Logik des Schaffens" beruht. Wobei er gleich zu Beginn den Geist Goethes beschwört, dessen selbstkritische Notizen in der "Italienischen Reise": "Ich habe zwei meiner Kapitalfehler, die mich mein ganzes Leben verfolgt und gepeinigt haben, entdecken können. Einer ist, dass ich nie das Handwerk einer Sache, die ich treiben wollte oder sollte, lernen mochte. Der andere nah verwandte Fehler ist, dass ich nie so viel Zeit auf eine Arbeit oder ein Geschäft wenden mochte, als dazu erfordert wird."
Die Logik des Schaffens, die Neues hervorbringt, hält Erharter allerdings für zentral in einer Gesellschaft, deren Entwicklung in zunehmendem Maß auf der Verarbeitung von Wissen und auf der Fähigkeit, Neues hervorzubringen, beruht. Wobei sich seiner Überzeugung nach die innere Dynamik der Schaffensprozesse in Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft nicht im Wesentlichen unterscheiden. Sie setzt in jedem Fall im Sinne Goethes handwerkliches Können voraus, richtet sich immer an ein reales oder fiktives Publikum und schließt drittens die Vorstellung eines anstrebenswerten Zieles ein. Auf keinen Fall, so betont Erharter, bedeutet Schaffen, das, was sich viele im grauen Büroalltag darunter vorstellen oder ersehnen mögen: Rauschhafte Selbstverwirklichung. "Schöpferische Menschen", schreibt er, "verwirklichen sich nicht selbst, sondern finden Sinn in der Entfaltung. Wenn sie also ‚kreativ‘ sein wollen, so sollten Sie etwas finden, dessen Entfaltung für Sie sinnvoll ist."
Den Begriff der schöpferischen "Entfaltung des Wissens, Könnens oder Menschseins" grenzt Erharter von der schlichten Notwendigkeit zur Erhaltung der eigenen Existenz ab, die noch in der Generation seiner Großeltern das Leben der großen Mehrheit bestimmt hat. Es ist in seinen Augen ein Charakteristikum der sich gerade entwickelnden "Wissensgesellschaft", dass immer mehr Menschen Kenntnisse über den Ablauf von schöpferischen Prozessen brauchen, mit denen sich in früheren Perioden nur wenige Privilegierte oder Außenseiter befassten. Umso dringender scheint es ihm also, mit den Mythen der Kreativität aufzuräumen und von dem zu sprechen, was den Alltag der "Wissensarbeiter" ausmacht: "einer Sache dienen", "schöpferische Verantwortung" oder "Auseinandersetzung mit sich selbst", um nur einige der Kapitelüberschriften aus "Kreativität gibt es nicht" zu zitieren. Was natürlich für den einen oder anderen, der an der Konferenz "Innovation. Kreativität. Zukunft" teilgenommen hat, ernüchternd klingen mag, aber vielleicht den Weg zu einem neuen Arbeitsstil weist.
Artikel erschienen am 17. August 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 8-9
Buch:
Wolfgang A. Erharter: Kreativität gibt es nicht. Wie Sie geniale Ideen erarbeiten. Redline Verlag, München 2012. 206 Seiten.