Internationale Jury holte die vierte Frau in den heimischen Forschungsolymp.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Was sich an der Oberfläche abspielt, gilt zwar gemeinhin als banal, stellt aber ein hochinteressantes Forschungsgebiet dar. Eine Österreicherin zählt im Bereich Oberflächenphysik zur Weltklasse und heimst jetzt dafür die mit 1,5 Millionen Euro höchstdotierte heimische Wissenschaftsauszeichnung, den Wittgenstein-Preis, ein. Ulrike Diebold, seit 2010 Professorin an der Technischen Universität (TU) Wien, ist nach Ruth Wodak (1996), Marjori Matzke (1997) und Renee Schroeder (2003) die vierte Frau, der diese Ehre zuteil wird.
Sie wurde 1961 in Kapfenberg geboren und ging 1990 nach ihrer Promotion an der TU Wien in die USA. Dort hat sich Diebold ihre Reputation als Forscherin erarbeitet, seit 1993 an der Tulane University in New Orleans, wo sie nach wie vor eine Forschungsprofessur innehat.
Ihre Pionierleistung bestand darin, dass sie zeigte, wie man an Metalloxiden mittels Rastertunnelmikroskopie jedes einzelne Atom sichtbar machen und den Ablauf chemischer Prozesse an der Oberfläche untersuchen kann. Momentan werden solche Experimente nur im Hochvakuum durchgeführt, nun will Diebold sich auf ein ganz neues Gebiet konzentrieren - die Untersuchung solcher Prozesse in Flüssigkeiten. Mit der Arbeit in Flüssigkeiten könnte sich Diebolds Arbeitsgebiet auch in Richtung organischer Systeme entwickeln. Ein von ihr oft untersuchtes Material - Titanoxid - sei mit lebendem Gewebe sehr gut kompatibel, sagt die Forscherin, "aber man weiß nicht, warum".
Faszinierend an den bisher von Ulrike Diebold erforschten Metalloxiden ist deren Bandbreite an physikalisch-chemischen Eigenschaften. In der Anwendung dieser Materialien - Katalysatoren, Gassensoren, Batterien, Brennstoffzellen, neuartige elektronische Bauteile - spielen Oberflächen und Schnittstellen eine zentrale Rolle. Forschung auf diesem Gebiet kann folglich große Auswirkungen haben, zum Beispiel im Bereich der Energiegewinnung und -speicherung.
Bei ihrer Vorstellung als "ideale Preisträgerin", so Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, durfte die Physikerin einem kurzen Dialog in Latein zwischen zwei Altphilologen lauschen: zwischen Töchterle und dem Vorsitzenden der Jury Jan Ziolkowski von der Harvard University. Christoph Kratky, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, hob hervor, dass der FWF die Vergabe dieses Preises - wie auch der mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotierten Start-Preise 2013 für Nachwuchsforscher (Liste rechts) - ganz einem 14-köpfigen Gremium hochkarätiger ausländischer Wissenschafter überlässt: "Die einzige Person aus Österreich, die dabei ist, führt nur das Protokoll." Es fiel auf, dass von den neun Start-Preisen heuer nur einer an einen Geisteswissenschafter ging.
Das Preisgeld für den Wittgenstein-Preis und die Start-Preise muss wieder in die Forschung investiert werden. Ulrike Diebold freut sich auf den Kauf eines neuen speziellen Mikroskops und betont auch: "Ich möchte meinem Team die besten Arbeitsbedingungen bieten."
Start-Preisträger 2013
Stefan L. Ameres, geboren 1978 in München, Molekularbiologe am Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Projekt: "Molekulare Charakterisierung des Lebenszyklus von mikroRNAs".
Notburga Gierlinger, geboren 1970 in Haslach an der Mühl, Materialwissenschafterin an der ETH Zürich, wechselt an die Universität für Bodenkultur in Wien, Projekt: "Oberflächen und Grenzflächen in Pflanzen: Lignin, Suberin und Cutin".
Clemens Heitzinger, geboren 1974 in Linz, Mathematiker am Austrian Institute of Technology. Projekt: "Partielle Differenzialgleichungen für die Nanotechnologie".
Georgios Katsaros, geboren 1976 in Athen, Physiker an der Universität Linz, Projekt: "Loch Spin-Qubits und Majorana-Fermionen in Germanium".
David A. Keays, geboren 1976 in Johannesburg (Südafrika), Biologe am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, Projekt: "Zelluläre Grundlagen von Magnetorezeption".
Ovidiu Paun, geboren 1976 in Constanta (Rumänien), Botaniker an der Universität Wien, Projekt: "Evolution durch wiederholende Allopolyploidisierung".
Thomas Pock, geboren 1978 in Graz, Telematiker an der Technischen Universität (TU) Graz, Projekt: "Bilevel Lernen in der Computer Vision".
Paolo Sartori, geboren 1975 in Montecchio Maggiore (Italien), Islamwissenschafter am Institut für Iranistik der ÖAW, Projekt: "Der Blick des Archivs. Dokumentieren und Regieren im islamischen Mittelasien".
Stefan Woltran, geboren 1975 in Mödling, Informatiker am Institut für Informationssysteme der TU Wien, Projekt: "Dekomposition und Dynamische Programmierung für komplexe Berechnungsprobleme".