Die "Wiener Zeitung" berichtete jüngst über die Kritik Frankreichs und anderer Mittelmeerstaaten, aber auch der deutschen Gewerkschaften, am "Lohndumping" Deutschlands, und über die Forderung einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordination im Euroraum. Durch allzu niedrige Lohnabschlüsse verschaffe sich Deutschland Vorteile im Export und halte seine Importe - eine Wachstumsquelle für andere Länder - niedrig. Die österreichische Lohnstückkostenentwicklung seit 1998 verläuft ähnlich günstig wie die deutsche. "Lohndumping" auch in Österreich?
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Leider sind volkswirtschaftliche Zusammenhänge komplex und nicht mit Schlagworten zu fassen. Daher eine Annäherung an das Thema. Vorweg: Unter Dumping versteht man üblicherweise Exportlieferungen unter den Gestehungskosten. Progressive Ökonomen und Globalisierungskritiker haben diesen Begriff erweitert. Auch Kostenzurückhaltung sei Dumping und schädlich für die Weltwirtschaft.
Deutschland und Österreich haben im EU-Vergleich hohe Lohnkosten. Dass die beiden Länder dennoch mit ihren Exporten international konkurrenzfähig sind, liegt an der guten Produktivität, also dem hohen Produktionswert je Arbeitsstunde. Dies ist das Ergebnis der Leistungsstärke der Arbeitnehmer, effizienteren Managements, besserer Kapitalausstattung und höherwertiger, innovativerer Produkte. Machen sich Länder wie Deutschland und Österreich des "Lohndumpings" schuldig, weil sie ihre erwähnten Wettbewerbsvorteile nicht sofort durch kräftige Lohnsteigerungen zunichte machen? Und nebenbei: Wie sollen höhere Löhne in Ländern mit Arbeitslosigkeit und Tarifautonomie der Sozialpartner durchgesetzt werden?
Deutschlands Exportstärke bewirkt einen Außenwirtschaftsüberschuss, also deutlich höhere Exporte als Importe. Österreich konnte durch seine Exportstärke sein strukturelles Außenwirtschaftsdefizit eliminieren. Ein Außenhandelsüberschuss ist für hochentwickelte Wirtschaften normal. Durch entsprechende Kapitalexporte in weniger entwickelte Länder mit Außenhandelsdefiziten wird diesen Ländern ein wirtschaftlicher Aufholprozess ermöglicht.
An der Grenze zum Absurden sind Vorwürfe des "Lohndumpings" durch Länder, die mit exzessiven Budgetdefiziten Großbürokratien, versteinerte Arbeitsmärkte und ein niedriges Pensionsantrittsalter finanzieren. Die im Zusammenhang mit der Krise Griechenlands geforderte stärkere wirtschaftspolitische Koordination im Euroraum ist notwendig - aber nicht, um hohe Inflationsraten und Budgetdefizite salonfähig zu machen und stabilitätsorientierte Länder wie Deutschland (und damit auch Österreich) an den Pranger zustellen.
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industriepolitik/Wirtschaft in der Industriellenvereinigung. Siehe auch:Leitartikel: Kampf der Währungen