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London will Kampfvotum

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Bei der Bestellung des EU-Kommissionspräsidenten setzt Großbritannien auf Konfrontation.


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Brüssel. Großbritannien will es wissen. Mit seinem Widerstand bei der Besetzung von Spitzenposten in der EU ist Premier David Cameron so weit gegangen, dass er nun auch von den anderen Ländern klare Worte fordert. Daher will er beim Gipfeltreffen mit seinen Amtskollegen am morgigen Freitag etwas erzwingen, was bei solchen Zusammenkünften bisher nicht üblich war: eine Kampfabstimmung. Das bestätigten mehrere EU-Diplomaten.

In den Versammlungen der Staats- und Regierungschefs fallen die Beschlüsse sonst im Konsens. Das war bei der Bestellung des jetzigen Präsidenten der EU-Kommission ebenso der Fall. Doch dieses Mal hat das EU-Parlament in das Prozedere eine neue Dynamik gebracht - mit der Idee, bei den EU-Wahlen Spitzenkandidaten aufzustellen, die sich gleichzeitig um die Leitung der Kommission bewerben. Folgen müssen die Länder dieser Vorgabe nicht, sie sollen lediglich die Ergebnisse des Urnengangs berücksichtigen. Dennoch ist der Druck groß, den Wunsch des Abgeordnetenhauses nicht zu ignorieren, muss doch eine Mehrheit der Mandatare der künftigen Zusammensetzung der Brüsseler Behörde zustimmen.

An deren Spitze will Premier Cameron aber keineswegs den Kandidaten der stimmenstärksten Fraktion, den Luxemburger Christdemokraten Jean-Claude Juncker, sehen. Und daraus hat er nie ein Hehl gemacht. Zu integrationsfreundlich ist ihm der Ex-Ministerpräsident und langjährige Vorsitzende der Eurogruppe. Doch hat die Ablehnung des Briten auch innenpolitische Gründe: Cameron hofft, dass er durch sein herbes Auftreten gegenüber der Gemeinschaft wieder an Wählersympathie auf der Insel gewinnt.

Um seine Konsequenz zu demonstrieren, will er voraussichtlich ein Votum herbeiführen. Denn eine Verschiebung des Beschlusses, die London ebenfalls ins Gespräch gebracht hat, ist nicht im Sinne von Ratspräsident Herman Van Rompuy. Der Belgier möchte eine baldige Festlegung. Nur so könnte der Zeitplan eingehalten werden, Mitte Juli in der Volksvertretung die Bestellung des Kommissionspräsidenten zu fixieren.

Rückendeckung für Juncker

In der EU scheint Cameron jedenfalls immer isolierter. Zuletzt haben auch Schweden und die Niederlande, die Juncker durchaus skeptisch gegenüber gestanden sind, ihre Rückendeckung für den Luxemburger angedeutet. "Wenn Juncker eine qualifizierte Mehrheit der Regierungschefs bekommt und auch die Unterstützung des Europäischen Parlaments hat, würde ich vorschlagen, dass die schwedische Regierung diese Mehrheit unterstützt", zitierte die Nachrichtenagentur TT den schwedischen Premier Fredrik Reinfeldt. Dessen niederländischer Amtskollege Mark Rutte ließ ebenfalls ausrichten, dass er die Kür Junckers nicht verhindern würde.

So zeichnet sich bei einer Abstimmung eine "überwältigende Mehrheit" für den Christdemokraten ab, wie es nicht zuletzt aus deutschen Regierungskreisen hieß. Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst hat sich nach anfänglichem Zögern für eine Nominierung Junckers ausgesprochen. Dafür sei auch keine Einstimmigkeit, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit nötig, stellte sie klar.

Eine Sperrminorität wird Cameron daher kaum aufbauen können. Als einen Verbündeten kann er derzeit nämlich nur seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orban ansehen. Dieser habe allerdings keine personellen, sondern inhaltliche Einwände, merkte ein Diplomat an. Falls das Prozedere so verlaufe, wie es sich das Parlament wünsche, drohe eine "schleichende Änderung" der EU-Verträge.

Isolierte Insel

Doch weisen Experten vielmehr auf eine andere Gefahr hin: dass sich Großbritannien noch mehr - und nicht nur kurzfristig - von der Europäischen Union entfernt. Daran ändern auch die Versicherungen hochrangiger EU-Politiker, unter anderem des derzeitigen Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso, die ihre Wertschätzung für die britische EU-Mitgliedschaft ausdrücken, nur wenig.