Ausländische Terrorverdächtige ohne Verfahren auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren, widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention, entschied gestern das britische Höchstgericht. Das Urteil gilt vorerst als symbolischer Erfolg, weil es für die Regierung keinen bindenden Charakter hat.
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Acht der neun Lordrichter entsprachen damit der Klage von neun Ausländern, die seit mehr als drei Jahren ohne Anklage in britischer Haft sitzen. Das Urteil gilt als harter Schlag für die Regierung von Premier Tony Blair - der zweite nach dem Rücktritt von Innenminister David Blunkett am Mittwoch. Allerdings zieht "die Entscheidung keine legale Prozedur" nach sich, wie die Pressestelle der britischen Botschaft der "Wiener Zeitung" erklärte. "Noch ist es zu früh, die nächsten Schritte beurteilen zu können". Politische Beobachter meinten jedoch, dass das Urteil der Lordrichter die Regierung unter Zugzwang bringe, das Gesetz zu ändern.
Die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise obliegt nun dem britischen Parlament als letzter Instanz. Die Verdächtigen bleiben bis zu einem Ergebnis der Beratungen im Londoner Belmarsh-Gefängnis inhaftiert. Dieses wird von Menschenrechtsgruppen, die das Anti-Terror-Gesetz heftig kritisieren, seit langem als "britisches Guantanamo" bezeichnet.
Das fragliche Gesetz wurde unter Blunketts Regie im Windschatten der Anschläge vom 11. September 2001 im Schnellverfahren beschlossen. Demnach genügt für die unbegrenzte Inhaftierung der "begründete Verdacht", dass ein Ausländer eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Auf hunderte Verdächtige hat das bisher zugetroffen.
"Die wahre Bedrohung für das Leben der Nation (.) kommt nicht vom Terrorismus sondern von Gesetzen wie diesen", erteilte Lordrichter Leonard Hoffmann der gängigen Praxis eine glatte Abfuhr. "Die unbegrenzte Inhaftierung ohne Anklage oder Prozess ist ein Fluch für jeden Rechtsstaat", assistiert Lord Nicholls of Birkenhead. Ganz offensichtlich unrechtmäßig sei die Unterscheidung zwischen Briten und Ausländern, erklärte auch der Vorsitzende Lordrichter Thomas Bingham. Dies sei nicht mit dem Grundsatz vereinbar, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich seien. Die "drakonischen" Maßnahmen der Regierung seien mit den europäischen Menschenrechtsgesetzen nicht vereinbar, und die Regierung müsse die Gerichtskosten tragen, heißt es in dem Urteil.