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Londons Finanzplatz hält sich über Wasser

Von Sonja Wind aus London

Wirtschaft
Der Finanzhandel in der Londoner City blüht - trotz Brexit und tiefer wirtschaftlicher und politischer Krisen.
© Sonja Wind

Trotz Brexit und Wirtschaftskrise zeigt sich das Finanzzentrum London lebendiger als erwartet.


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Imposante Bankgebäude, Wolkenkratzer und vielbeschäftigte Leute im Anzug - so kennt man London als wichtiges Finanzzentrum. Über der Metropole hängt jedoch eine dunkle Wolke, bestehend aus Brexit und Wirtschaftskrise. 44 Prozent der größten Finanzdienstleister kündigten nach dem Brexit an, ihre Tätigkeiten oder Mitarbeiter in die EU zu verschieben, so ein Bericht der Beratungsfirma EY. Ein Profiteur dieser Entwicklung ist unter anderem Paris, das nun als Handelszentrum aufsteigt. Wird London also seinen Status als Finanzzentrum verlieren?

Nicht, wenn man Iain Begg, Professor an der London School of Economics and Political Science (LSE), fragt. "Die Position Londons wird sich weder durch den Brexit noch durch die aktuelle Krise ändern", so der Wirtschaftsexperte. Zwar würden einige Banken und Versicherungen ein paar ihrer Aktivitäten von London nach Frankfurt, Dublin oder Amsterdam verlegen, aber das würde Londons Position nicht ernsthaft angreifen.

Paris blüht als Handelszentrum auf

Laut dem Global Financial Center Index von Z/Yen, der Städte anhand von Löhnen, Infrastruktur und Regulierungen einstuft, ist in Westeuropa Paris nach London der zweitbedeutendste Finanzplatz. Medienberichten zufolge blüht Paris seit dem Brexit als Handelszentrum auf. So hat im Oktober etwa die Deutsche Bank Teile ihres Anleihehandels dorthin verlegt. Die Nummer 1 in Europa bleibt aber weiterhin London.

Das Jahr 2021 feierte der London Stock Exchange sogar als Rekordjahr, gemessen an Börsengängen: Über 120 Unternehmen haben sich für eine Notierung an der Londoner Börse entschieden. Das sei das stärkste Jahr für Börsengang-Kapitalbeschaffung seit 2007 und die höchste Zahl an Unternehmen seit 2014.

Amsterdam zieht Börsengänge an Land

Aber Amsterdam holt in dieser Hinsicht kräftig auf. Die Börsengänge an der Amsterdamer Börse vervierfachten sich von 2020 auf 2021 - insgesamt brachten sie vergangenes Jahr Berichten zufolge 12 Milliarden US-Dollar ein. London hat mit 22 Milliarden US-Dollar aber weiterhin die Nase vorne.

Eine wirkliche Bedrohung sind europäische Finanzzentren wie Paris, Amsterdam oder Frankfurt für London laut Wirtschaftsprofessor Iain Begg nicht - denn europäische Finanzplätze seien in ihrer globalen Bedeutung zweitrangig. "Paris versucht seit mindestens 200 Jahren, die Vormachtstellung Londons im Bereich der Finanz- und Unternehmensdienstleistungen zu untergraben, aber das ist bis jetzt nie gelungen", sagt er.

New York löst London als Nummer eins ab

Während sich London in Europa weiterhin als Finanzzentrum behauptet, gibt es international gesehen sehr wohl ernsthafte Konkurrenz: London kämpft mit New York um die globale Vorherrschaft. Im Jahr 2018, als die Unsicherheit wegen eines No-Deal-Brexit groß war, hat New York London vom Thron gestoßen. London muss sich seither mit dem zweiten Platz abgeben.

Als das Vereinigte Königreich 2016 für den Austritt aus der EU stimmte, herrschte Nervosität in den Finanzunternehmen. Laut dem Brexit-Tracker von EY kündigten 97 der 222 größten Finanzdienstleister an, ihren Hauptsitz und ihr Personal aus London abzuziehen. Sechs Jahre nach der Entscheidung zum EU-Ausstieg zeichnet sich ein milderes Bild für die ab.

Auswirkungen des Brexit milder als erwartet

"Bislang sind die Auswirkungen von Brexit sehr viel geringer als vorhergesagt. Einige Banken oder Versicherungsgesellschaften, die in europäischen Ländern aktiv sein wollen, bauen jetzt eine physische Präsenz in der EU auf, die sie vor Brexit nicht brauchten. Insgesamt ist die Abwanderung von Arbeitsplätzen in London aber sehr gering", sagt Begg.

Einige Firmen haben ihre Pläne wieder revidiert bzw. die Zahl der Brexit-bedingten Personalverlagerungen nach unten korrigiert. Statt 12.500 geplanten Personalverlagerungen sind es im März 2022 "nur" noch 7.000, Daten von EY zufolge.

Ein wichtiges Puzzlestück für Londons Finanzsektor sind qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland. Dass durch den Brexit weniger Arbeitskräfte nach London kommen, glaubt der LSE-Professor nicht: "Für hochqualifizierte Fachkräfte, die den Kern der Finanzdienstleistungen ausmachen, gibt es bis auf einige administrative Schritte keine großen Hindernisse, nach London zu kommen."

Auch dürfe man nicht vergessen, dass London als globaler Player auch viel Aktivität außerhalb Europas hat. "London verfügt nicht nur über die finanzielle Expertise und die englische Sprache, sondern bietet auch eine ganze Reihe an ergänzenden Dienstleistungen wie Anwälten und Beratern, die eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen spielen", sagt Begg.

Rekordinflation und Premierwechsel

Während es für London als Finanzzentrum also besser als erwartet läuft, sorgen die hohe Inflation und das politische Chaos für Krisenstimmung. Die aktuelle Inflationsrate liegt bei 10,1 Prozent, damit kehrt die Inflation auf das Juli-Hoch zurück, das laut nationalen Statistiken der höchste Wert seit 40 Jahren ist.

Auch in der Politik werden Rekorde gebrochen: Ex-Premierministerin Liz Truss resignierte nach nur 45 Tagen - und geht damit in die Geschichte als kürzestamtierende Premierministerin Großbritanniens ein. Ihr Paket an ungedeckten Steuersenkungen sorgte für massive Kritik und Markturbulenzen. Das Pfund Sterling stürzte ab und erreichte mit 1,04 US-Dollar zeitweilig den niedrigsten Stand, den das Pfund gegenüber dem Dollar je hatte.