Verärgerte Bürger greifen zu Selbsthilfe. | Holzkästen als Radar-Simulation. | London. Zur Selbsthilfe hat die britische Regierung ihren Bürgern in letzter Zeit immer wieder geraten. Die "Big Society", eine Gesellschaft umfassender Eigeninitiative zur Entlastung des Staates, ist das Ideal Premierminister David Camerons für die neue Tory-Ära. Mittlerweile beginnen einige Briten dem Rat zu folgen. Allerdings nicht aus Begeisterung für Cameron, sondern um gegen die Regierungspolitik zu protestieren.
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In kleinen Ortschaften und an belebten Straßen in der englischen Provinz stellen Bürger neuerdings gelb angepinselte Holzkästen vors Haus, die offiziellen Radarkameras täuschend ähnlich sehen. In Melton Mowbray in Leicestershire behalf sich ein Anwohner, in seiner Verzweiflung, mit einer übermalten Cornflakes-Schachtel. Anderswo, wie in Nuneham Courtenay bei Oxford, suchen Rennstrecken-Gegner aus eigener Kasse echte Radarfallen zu finanzieren.
5000 Pfund müsse man zusammen kriegen, um die im Ort installierte Kamera weiter betreiben zu können, erklärt Courtenay-Gemeinderat Colin George. Nur auf diese Weise sei sicher zu stellen, dass sich der Durchgangsverkehr an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit halte - und niemand im Ort um sein Leben bangen müsse. Die düstere Warnung hat gute Gründe. Zu Wochenbeginn sind überall in der Grafschaft Oxfordshire die Radarkameras abgeschaltet worden. 72 fest installierte und 89 mobile Radarfallen werden zum Schrottplatz gefahren, weil die Behörden sich ihren Betrieb nicht länger leisten können.
Die Cameron-Regierung nämlich hat, im Zuge ihrer Sparmaßnahmen, den englischen Grafschaften die Zuschüsse für Straßensicherheit um fast die Hälfte gekürzt. Ein ganzes Dutzend Grafschaften erwägt nun den Verzicht auf die gelben Überwachungs-Kästen. Oxfordshire war nur am schnellsten mit dem Abschalten. Bis zum nächsten Frühjahr, prophezeien die Experten, würden so gut wie alle 6000 Kameras in England und Wales abmontiert sein.
Nach knapp 20 Jahren dürfen britische Autofahrer sich wieder auf ein weitgehend ungestraftes Raser-Dasein freuen. Das Blitzlicht im Rückspiegel, der Strafzettel in der Post werden dann nur noch Erinnerung an eine verkehrspolitische Sackgasse sein. So jedenfalls sieht es die Regierung. So haben es die Konservativen in ihrem letzten Wahlprogramm versprochen. Endlich, frohlockt der für den Straßenverkehr zuständige Staatssekretär Mike Penning, komme der "Krieg gegen die Autofahrer" auf der Insel zu einem Ende.
Radarfallen sinnlos?
Pennings Bemerkung aber hat neuen Schlachtenlärm entfesselt. Verbände für Verkehrssicherheit, wie Brake, sehen sich mit einem ganz anderen Kampf konfrontiert - nämlich dem rücksichtsloser Autofahrer gegen eine Zivilbevölkerung, die noch immer schwere Verluste verzeichnet. Brake-Sprecherin Ellen Booth würde es für "eine Katastrophe" halten, wenn alle anderen Grafschaften nun dem Beispiel Oxfordshires folgten. 100 Menschenleben im Jahr würden durch Radarkameras gerettet, versichern die Kamera-Befürworter. Die Fallen-Gegner halten mit Statistiken dagegen, die zeigen sollen, dass Kameras kaum einen Unterschied machen.
Streit gibt es auch um den finanziellen Aspekt. Als Sparmaßnahme sei das Ganze höchst ungeeignet, argumentieren Kritiker, weil die Regierung mit den der Schatzkanzlei zufließenden Bußen praktisch ebenso viel einnehme, wie sie jährlich für die Kameras ausgebe. In Wirklichkeit, meint der scharfzüngige Kolumnist George Monbiot, handle es sich hier wohl um eine ideologische Entscheidung: "Dies ist eines der wenigen Gesetze, das die Reichen ebenso trifft wie die Armen." Der Ärger wohlhabender Bürger über die ihnen auferlegten Grenzen habe zu diesem "Sparbeschluss" geführt.
Die Londoner "Times" glaubt indes, dass "Millionen" über das Verschwinden der lästigen Blitzer jubeln würden: Nun müssten Autofahrer einander zumindest nicht mehr mit Lichtsignalen vorm üblen "Auge Big Brothers" warnen. In Nuneham Courtenay wird derweil weiter fleißig Geld gesammelt. Dort möchten sich die Bürger lieber Big Brother anvertrauen als die Ortsdurchfahrt wieder den Rasern frei zu geben.