Opposition boykottierte Rede des Regierungschefs.|Angst des italienischen Premiers vor Heckenschützen aus den eigenen Reihen.
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Rom. Zum 56. Mal in dieser Legislaturperiode stellt sich Italiens Premierminister Silvio Berlusconi am Freitag in den Mittagsstunden einer Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus. Um 12.30 Uhr werden die 630 Abgeordneten zu entscheiden haben, ob die Abstimmungsschlappe über den Rechenschaftsbericht für das Jahr 2010 am Dienstag nur ein "schwerer Zwischenfall" war, "für den die Mehrheit verantwortlich ist", wie Berlusconi am Donnerstag vor halb leeren Abgeordnetenbänken sagte, oder doch der Auftakt für seinen Abtritt.
Die Opposition boykottierte am Donnerstag die Rede des Regierungschefs nahezu vollzählig. Nur sechs Abgeordnete der Radikalen Partei saßen im Plenum, als Berlusconi um die Rettung seines in Turbulenzen geratenen Kabinetts kämpfte. Seit dem Jahr 1924, als die Opposition aus Protest gegen die faschistische Gewalt nach der Entführung und Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti das Abgeordnetenhaus verließ, sah sich kein italienischer Regierungschef mehr einer derartigen Herausforderung ausgesetzt.
Berlusconi beschwor die Abgeordneten seiner Partei und die seiner Koalitionspartner, dass vorgezogene Neuwahlen keine Lösung für die schwierige Lage Italiens seien. Das Land befinde sich in Gefahr und könne sich keine politische Krise leisten, die nur eine Zeitverschwendung bedeute. Der Opposition warf der Premier vor, kein politisches Projekt zu haben, sie sei zerstritten und nur in ihrem Kampf gegen seine Regierung vereint. Neuwahlen oder ein Expertenkabinett könnten die Probleme des Landes nicht lösen, und sie hätten nicht die Kraft einer demokratisch gewählten Regierung. In Anspielung auf die abwesenden Oppositionsabgeordneten, meinte Berlusconi: "Ich würde sogar sagen, sie sind verschwunden."
Oppositionschef Pier Luigi Bersani von der demokratischen Partei (PD) antwortete darauf postwendend: "Wir verschwunden? Er ist verschwunden und hat nur in den Wind gesprochen ohne dem Staatspräsidenten auf die Frage nach der Regierungsfähigkeit zu antworten."
Bossi hörte gähnend zu
Während Berlusconis Parlamentsrede saßen sein Koalitionspartner Umberto Bossi und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti neben ihm auf der Regierungsbank. Tremonti hatte am Dienstag den besonderen Zorn Berlusconis erregt, weil er nicht an der Abstimmung teilgenommen hatte, bei der die Regierung der Opposition mit nur einer Stimme unterlegen war. Bossi konnte während Berlusconis Rede heftiges Gähnen nicht unterdrücken. Das sei der beste Kommentar zu Berlusconis Rede gewesen, meinte der Abgeordnete Benedetto Della Vedova von der Fini-Partei FLI. Der Fraktionschef der demokratischen Partei, Dario Franceschini, sprach von einer "Rede des Gähnens".
Bossi selbst war aber überzeugt, dass die Regierung die Vertrauensabstimmung gewinnen werde. "Berlusconis Rede hat mich überzeugt", meinte er.
Im Regierungslager geht jedoch die Angst um, dass einige Heckenschützen aus den eigenen Reihen die Regierung stürzen könnten. Obwohl der ehemalige Innen- und Industrieminister Claudio Scajola angekündigt hat, dass er bei der Vertrauensabstimmung sein Votum für Berlusconi abgeben werde, gibt es Befürchtungen, dass einige Anhänger des Ex-Ministers, der seinen Posten vor einem Jahr wegen einer undurchsichtigen Immobiliengeschichte verloren hatte, Berlusconi den Rücken kehren könnten. Der Modeschöpfer Santo Versace, der auf den Listen der Regierungspartei PdL ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde und in der Zwischenzeit in die gemischte Fraktion übergewechselt ist, hat bereits angekündigt, dass er diesmal nicht wie bisher Berlusconis Regierung das Vertrauen aussprechen werde.