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"Lotto ist jedenfalls ein Suchtprodukt"

Von Stefan Janny

Reflexionen
Stefan Janny, Bwin-Chefs Norbert Teufelberger (Mitte) und Manfred Bodner: "Das Spiel mit dem Kick, dem Adrenalin-Ventil." Foto: Newald

Keine Krise dank azyklischer Branche. | Kritik am Naheverhältnis der Medien zu Casinos. | In Planung: Pferde- und Finanzwetten. | "Wiener Zeitung": Nehmen die Umsätze von Glücksspielunternehmen in Zeiten wirtschaftlicher Krisen zu oder wird weniger gespielt?


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Norbert Teufelberger: Die Online-Gaming-Branche ist noch nicht krisengeprüft, daher gibt es keine präzisen Erfahrungen. Eine Theorie besagt, dass die Menschen, wenn sie bei Konsumausgaben einsparen, mehr Zeit zuhause verbringen. Das könnte dazu führen, dass sie dann ein bisschen Geld bei uns wetten, weil daheim die Langeweile ausbricht.

Die andere Theorie geht davon aus, dass das verfügbare Einkommen anders verwendet wird, weil man auf Glücksspiel ja grundsätzlich verzichten kann.

Manfred Bodner: Ich bin der Überzeugung, dass Glücksspiel eine azyklische Branche ist, weil die Konsumenten in schwierigen Zeiten auf diese kleinen Vergnügen nicht verzichten wollen. Ich glaube nicht, dass mehr gespielt wird, aber gespart wird da auch nicht unbedingt.

Man geht immer noch ins Kino und am Wochenende mit Freunden aus, man leistet sich nach wie vor eine Sportwette. Gespart wird, indem man auf den Urlaub in Thailand verzichtet oder den Kauf eines neuen Autos um ein Jahr verschiebt.

Ihr Gewerbe hat den Vorteil, die Umsatzentwicklung täglich in Echtzeit mitverfolgen zu können. Wie sind September und Oktober gelaufen? Teufelberger: Oktober ist generell der beste Monat des Jahres, daher kann man nicht sagen, ob der Monat ohne die Krisenängste noch besser gelaufen wäre. Einen Umsatzeinbruch bemerken wir bisher jedenfalls nicht.

Warum der Oktober ? Bodner: 70 Prozent des Sportwettengeschäftes kommen bei uns aus dem Fußball und im Oktober regiert überall wieder König Fußball. Die nationalen Fußball-Ligen beginnen im Sommer, aber im Oktober kommen dann Champions League und WM-Qualifikation dazu.

Haben Sie eine Lieblingsfußballmannschaft? Teufelberger: Immer die, die wir sponsern.

Das sind aber mehrere. Teufelberger: Eigentlich nur zwei: AC Milan und Real Madrid.

Bodner: Und in geringerem Ausmaß sponsern wir ab heuer auch Bayern München. Mich hat Fußball eigentlich nie wirklich interessiert. Das hat sich eigentlich erst durch das Geschäft geändert, weil bei Bwin Fußballwetten das Hauptprodukt sind. Jetzt ist FC Barcelona mein Lieblingsklub, weil wir eine Zeit lang gehofft haben, dass wir dort Trikotsponsor werden können, was uns auch fast gelungen wäre. In diesen zwei Jahren des Flirtens und der Liebeswerbung habe ich eine gewisse emotionale Zuneigung zu dem Klub entwickelt. Die haben damals einen sehr schönen Fußball gespielt mit Spielern wie Ronaldinho, Deco und Lionel Messi.

Dafür, dass Sie Fußball angeblich nicht interessiert ... Teufelberger: Das war reines Glück. Normalerweise hätte er jetzt einen genannt, der nie dort gespielt hat.

Bodner: (lacht) Ich schaue mir Fußball schon auch manchmal im Fernsehen an, bin dabei aber nicht emotional, sondern betrachte das vom geschäftlichen Blickwinkel und wünsche mir ein Unentschieden, weil das für Buchmacher das beste Ergebnis ist.

Weil die meisten Leute auf den Sieg eines der beiden Vereine und kaum auf Unentschieden wetten? Bodner: Der klassische Wettkunde setzt meist auf einen Favoritensieg. Als Buchmacher ist man daher kein Fan der großen Favoriten.

Wie war die Euro 08 für Sie? Bodner: Zufriedenstellend - es hätte besser, aber auch schlechter sein können.

Im Gegensatz zu Bwin bieten viele britische Buchmacher auch andere Wetten an - etwa auf Finanzprodukte.

Bodner: Das ist bei uns, ebenso wie Pferdewetten, in Vorbereitung.

Teufelberger: Pferdewetten sind in Großbritannien seit dem 18. Jahrhundert die Basis des Wettgeschäfts. Dann wurden neue Produkte entwickelt, um zusätzliches Interesse zu wecken.

Das Gleiche gilt auch für Skurrilitätenwetten: Wann eine Prinzessin heiratet und Ähnliches. Wir waren aber bisher in England nur sehr eingeschränkt aktiv, daher haben wir uns auf Fußballwetten konzentriert.

Man könnte vermuten, Sie verzichten auf Finanzwetten, weil Sie befürchten müssten, dass zu viele Menschen wetten, dass die Bwin-Aktie weiter in den Keller fällt. Teufelberger: Da sollte man die Kirche im Dorf lassen. Wir sind im Jahr 2000 mit einem Kurs von 6,75 Euro an die Börse gegangen, und selbst angesichts der Finanzkrise bewegt sich der Kurs immer noch zwischen 13 und 14 Euro.

Sie haben nicht erwähnt, dass die Aktie auch schon über 100 Euro war. Teufelberger: Das ist richtig. Aber dass die Bwin-Aktie besonders volatil und für Investoren schwer einschätzbar ist, weil es im Online-Wettgeschäft ungeklärte rechtliche Fragen gibt, sollte eigentlich nicht verwundern. Vor zwei Jahren war der Aktienkurs bei 100 Euro, weil die Erwartungshaltung sehr hoch war. Aber seither ist viel passiert: Die USA sind als Markt wegfallen, die Türkei ebenfalls; wir mussten kurzfristig ins Gefängnis. Vor zwei Jahren war die Aktie wahrscheinlich überbewertet, jetzt spiegelt sich sehr viel Pessimismus im Kurs. Wir haben damit aber kein Problem, weil wir alle relevanten Fakten offen kommuniziert haben.

Wir haben viele unserer Ziele erreicht und manche nicht, weil sich Rahmenbedingungen, die wir kaum beeinflussen können, geändert haben.

Bodner: Wetten auf unseren eigenen Aktienkurs würden wir ohnedies nicht annehmen.

Sind Sie seit ihrem Gefängnisaufenthalt wieder nach Frankreich gereist? Bodner: Häufig.

Sie befürchten also nicht.. . Bodner: Überhaupt nicht. Das dortige Verfahren wird nur aus politischen Gründen am Leben gehalten.

Reisen Sie auch in die USA, wo Manager von europäischen Online-Glücksspielanbietern mehrfach bei der Einreise verhaftet wurden? Bodner: Wir werden das bald wohl wieder tun.

Gibt es Parallelen zwischen Menschen, die an der Börse Geld machen, und solchen, die auf Fußball wetten? Bodner: Ich glaube, da besteht ein ganz grundsätzlicher Unterschied. Bei unseren Produkten steht eindeutig der Unterhaltungscharakter im Vordergrund, der mit einer überschaubaren finanziellen Komponente gewürzt wird. In Boomphasen ist an der Börse natürlich auch viel Adrenalin und Emotion im Umlauf. Die Börse ist in einer kapitalistischen Wirtschaft aber ein wichtiger Faktor zur Kapitalbeschaffung und kein Glücksspiel oder Kasino.

Sie bieten aber auch Kasinospiele an. Bodner: Natürlich. Auch als Unterhaltung, und nicht zum Geldverdienen.

Worin besteht die Unterhaltung, wenn ich vor einem Bildschirm sitze und auf einen virtuellen Roulettekessel starre? Bodner: Im Kick. Das ist jemandem, der nicht spielt, schwer zu vermitteln. Viele Leute sind heute im Berufsleben von den Entscheidungsprozessen abgeschnitten. Bei uns kann er am Abend dann das kleine Adrenalin-Ventil öffnen und Entscheidungen treffen.

Es gibt also andere Gründe, stundenlang Poker oder Roulette am Computer zu spielen, als die Hoffnung, Geld zu gewinnen? Teufelberger: Natürlich, Unterhaltung im Sinne des Adrenalinkicks. Im Internet sind Ansätze von Spielsucht übrigens viel besser erkennbar im Kasino.

Bodner: Wetten sind Unterhaltung. Die Motivation, Lotto zu spielen, hingegen ist die aggressiv vermarktete Fiktion, nie mehr arbeiten zu müssen: "Alles ist möglich."

Dass es aber sehr, sehr unwahrscheinlich ist, sagt keiner dazu. Da wird eine Illusion verkauft. Im Übrigen kann auch Lotto einen Suchtcharakter entwickeln. Wenn die Omi seit 15 Jahren die Geburtsdaten ihrer Enkerln spielt und einmal aussetzt und dann kommen die Zahlen, springt sie aus dem fünften Stock. Für mich sind Lotterien eindeutig Suchtprodukte.

Sie sind kein Freund der Casinos Austria - oder der Österreichischen Lotterien, die zu 68 Prozent den Casinos gehören. Bodner: Wir haben sehr oft Friedensangebote gemacht; Angebote, miteinander zu kooperieren. Warum nimmt der österreichische Monopolist beispielsweise ein Online-Produkt eines schwedischen Anbieters? Mit uns spricht man nicht einmal. Das ärgert uns, weil wir einen gewissen Stolz haben, Österreicher zu sein, ein weltführendes Unternehmen mit österreichischen Wurzeln aufgebaut zu haben - da verstehe ich es nicht, dass man nicht einmal miteinander reden kann.

Teufelberger: Und man müsste man sich mit der Aktionärsstruktur der Casinos auseinandersetzen.

Sie orten eine Verschwörung? Bodner: Keine Verschwörung, aber praktisch die gesamte österreichische Medienlandschaft ist direkt oder indirekt an den Einnahmen der Casinos Austria und der Lotterien beteiligt: Der ORF ist Gesellschafter bei den Lotterien, Raiffeisen hat viele Medienbeteiligungen und ist Aktionär bei den Casinos Austria. Zudem verteilen Casinos enorme Werbevolumina an die Medien. Da tut man sich gegenseitig nicht weh.

Wir haben uns daher in den letzten Jahren bewusst zurückgehalten und gesagt, wir investieren hier nicht großartig in unser Image.

Weil Österreich für Bwin kein wichtiger Markt ist? Bodner: Jeder Markt ist wichtig, aber Österreich ist kein sehr großer Markt. Wir machen hier nur einen kleinen Teil des Umsatzes.

Zu den PersonenManfred Bodner wurde am 21. Oktober 1962 in Kitzbühel geboren, beendete sein Studium der Wirtschaft und internationalen Politik mit dem Bachelor der Webster University St. Louis. Er war an der Gründung eines Online-Handelsunternehmens beteiligt, das an Neckermann verkauft wurde, wo er von 1995 bis 1998 hindurch dem Vorstand der österreichischen Neckermann angehörte. Dann war er Mitbegründer und CO-Vorstandsvorsitzender des (damals unter Bet andwin firmierenden) Online-Glücksspielanbieters bwin.

Norbert Teufelberger wurde am 19. 3. 1965 in Vöcklabruck geboren. Nach dem Studium an der Wiener Wirtschaftsuniversität trat der Ex-Tennis-Profi in die Dienste der Casinos Austria (Casag). Gemeinsam mit einer Reihe anderer Casag-Manager verließ er 1992 den Glückspielanbieter, um in Denver, USA, die - mittlerweile in Wien börsenotierte - Kasinogesellschaft Century Casinos zu gründen. 1999 wechselte er zu Bwin, wo er im Jahr 2000 zum Vorstandsmitglied bestellt und 2001 zum Co-CEO ernannt wurde.