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Loyal zu Kaiser und Sultan

Von Stefan Beig

Politik

Unter dem Schutz des Sultans entstand die jüdisch-sefardische Gemeinde in Wien. | Im Jüdischen Museum zeigt eine neue Schau die wechselvolle Geschichte. | Wien. Ein besonders kostbares architektonisches Juwel war der 1887 eingeweihte türkische Tempel in der Wiener Zirkusgasse im maurisch-orientalischen Baustil. Türkische und österreichische Flaggen befanden sich an den Eingangstüren des jüdischen Gotteshauses, ein Bildnis von Kaiser Franz Joseph I. und von Sultan Abdülhamid II. schmückten die Haupthalle. Auch der Geburtstag des Sultans wurde mit einem speziellen Festgottesdienst gefeiert. Wie fast alle Synagogen wurde der Tempel in der Reichskristallnacht 1938 zerstört.


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Warum diese osmanische Präsenz in einer Wiener Synagoge? Es ist eine lange Geschichte, die das Leben sefardischer Juden in Europa ebenso widerspiegelt wie den Austausch zwischen Habsburger- und Osmanischem Reich. Eine neue Ausstellung im Jüdischen Museum widmet sich allen Facetten des Themas unter dem Titel "Die Türken in Wien. Geschichte einer jüdischen Gemeinde". Kuratiert wurde die sehr textlastige Schau von Felicitas Heimann-Jelinek, Gabriele Kohlbauer-Fritz und Gerhard Milchran.

Als Sefarden werden die Juden spanischer Herkunft bezeichnet. 1492 wurden sie in einer bis dahin einzigartigen ethnischen Säuberung aus Spanien vertrieben. Der Großteil flüchtete ins Osmanische Reich, einen Vielvölkerstaat, wo sie als weiteres Handelsvolk willkommen waren.

Die Friedensverträge zwischen Habsburgern und Osmanen leiteten dann in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Ära des engen wirtschaftlichen und kulturellen Kontakts zwischen Europa und der Türkei ein. Türkische Staatsbürger genossen in der österreichisch-ungarischen Monarchie das Recht auf freie Religionsausübung. Und die sefardischen Juden nutzten die Chance, als Händler türkischer Waren in einem anderen Land zu wirken. Die türkisch-sefardische Gemeinde wurde 1735 in Wien gegründet und stand stets unter dem Schutz des Sultans.

Brückenschlag zum Orient

Dank türkischer Staatsbürgerschaft genossen die sefardischen Juden damals wesentlich mehr Rechte in Wien als die Aschkenasen (Juden aus West- und Osteuropa), die eigentlich in der Mehrheit waren. Die Sefarden brachten ihre Kultur mit und waren Träger des Orienthandels. So wurden sie zu Mittlern zwischen Orient und Okzident. Vom aschkenasischen Judentum unterschieden sie sich durch Ritus, Sprache und Kultur.

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts neue Verkehrswege in den Orient beschritten wurden und die österreichische Schifffahrtsgesellschaft Lloyd zum erfolgreichsten Unternehmen des Habsburgerstaats wurde, verloren die sefardischen Großhändler ihre Monopolstellung. Darüber hinaus ging 1890 mit dem neuen Israelitengesetz auch die Autonomie der sefardischen Gemeinde verloren. Als "Verband der türkischen Israeliten" wurde sie in die Israelitische Kultusgemeinde eingegliedert. Weiterhin blieb aber Wien ein entscheidendes Zentrum der Sefarden, es entstanden türkisch-jüdische Vereine und Schulen sowie ladino-sprachige Zeitungen. Auch religiöse sefardische Druckwerke für die Gemeinde auf dem Balkan wurden produziert.

Bei aller Loyalität gegenüber den Habsburgern waren die Sefarden dem Osmanischen Reich stets besonders verbunden. "Es ist eine merkwürdige Erscheinung, dass der Bestand des sefardischen Judentums an den der Türkei geknüpft ist", heißt es 1919 in den Mitteilungen der Türkischen Israeliten-Gemeinde in Wien. "Daraus erklärt sich auch die aufrichtige Liebe und Sympathie, die die spaniolischen Juden für die Osmanenherrschaft empfinden."

1938 wurden fast alle Gemeindemitglieder in den Tod deportiert, sofern ihnen nicht die Flucht gelang. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte kaum einer zurück. Die heutige sefardische Gemeinde in Wien hat mit der ursprünglichen nichts mehr zu tun. Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten aus den Reihen der sefardischen Juden zählt der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti.

* "Die Türken in Wien. Geschichte einer

jüdischen Gemeinde", bis 31. Oktober 2010 im Jüdischen Museum. *