Welches Loyalitätsverständnis stützt unsere Entwicklung am besten?
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Jüngst wurde kurz die Loyalitätsfrage zum Thema, aber schnell war sie wieder vom Tisch. Besonders bedauerlich war, dass sie nur aus einer Perspektive gestellt worden war: Ist Susanne Wiesinger mit ihrem neuesten Buch ("Machtkampf im Ministerium: Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört") gegenüber ihrem Arbeitgeber illoyal?
Diese Frage greift für das 21. Jahrhundert gefährlich zu kurz: Sie stellt die wichtige Frage nach der zuverlässigen Unterstützung nur im Hierarchie-Zusammenhang. Völlig außer Acht gelassen wird die Treue zur Sache, in diesem Fall die konkreten Auswirkungen von Organisation und Verwaltung von Bildungspolitik für die Schulstandorte und deren Schüler.
Wie gefährlich der Vorrang der Loyalität zur Hierarchie gegenüber der Loyalität zur Sache ist, zeigt aktuell die Verbreitung des Coronavirus: Um keine Probleme berichten zu müssen, entschied sich die Nomenklatura in China für das Vertuschen.
Die Folgen dessen sind weltweit ähnlich dramatisch wie auf einem anderen Kontinent die Loyalität der republikanischen Senatoren für ihren Präsidenten. Auf dem Spiel steht die innen- und außenpolitische Glaubwürdigkeit und damit das Vertrauen - aufs Spiel gesetzt von Politikern, die der Loyalität zur parteipolitischen Hierarchie und dem Machterhalt den Vorrang einräumen gegenüber den demokratiepolitisch bedeutsamen Hearings, in denen alle Aspekte und Zeugen gehört werden können.
Loyalität zu einer Hierarchie ermöglicht den Zusammenhalt einer Gruppe und damit das gemeinsame Erreichen von Zielen. Loyalität zu einer Sache ermöglicht das Erweitern der Perspektiven, das Überdenken von Zielsetzungen und damit eine vielfältigere Diskussion und nachhaltigere Lösungen.
Susanne Wiesingers Loyalität liegt offenbar bei den End- und nicht den Kopfpunkten des österreichischen Bildungssystems: den Schulstandorten und ihren Schülern. Dieses Loyalitätsverständnis eröffnet für den alten-neuen Bildungsminister die Chance, den längst überfälligen Transformationsprozess weg von der Bildungshierarchie hin zum Schüler-Em-powerment im Unterricht und in der Schule durchzuführen.
Der damit zu erzielende höhere Leistungsoutput unseres Bildungssystems ist für den Wirtschaftsstandort Österreich, insbesondere die Klein- und Mittelbetriebe, überlebensentscheidend. Es ist zutiefst widersprüchlich, von Unternehmen steigende Flexibilität und Professionalität zu fordern und das Rückgrat von wirtschaftlichem Fortschritt, unsere Schulen, mittels Ministerialbürokratie aus dem vorigen Jahrhundert zu führen.
Als Bürger und Unternehmer dieses Landes müssen wir uns fragen, welches Loyalitätsverständnis unsere Entwicklung am besten stützt: Ist es die Treue zur Hierarchie mit dem Vertrauen, "die da oben werden es schon richtig entscheiden", oder ist es die Ehrlichkeit in der Sache, die es erst ermöglicht, dass vielfältige Fakten und Perspektiven diskutiert werden können, bevor eine Entscheidung getroffen wird?
Alle Wahlen dieses Jahres geben uns die Möglichkeit, über diese Grundsatzfrage zu entscheiden. Nützen wir die Chance!