Das Staatsschutzgesetz soll den Kampf gegen Terror verbessern. | Kritiker fürchten eine Massenüberwachung ohne nennenswerte Erfolge.
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Wien. Am 7. Jänner 2015 stürmen die Brüder Kouachi die Redaktion des französischen Statireblatts "Charlie Hebdo" in Paris und erschießen zwölf Menschen. Die Brüder waren den französischen Behörden in Zusammenhang mit Radikalisierung und IS-Sympathien schon davor aufgefallen. Am 26. Juni enthauptet Yacin S. seinen Vorgesetzten. Er stand jahrenlang unter behördlicher Beobachtung. Am Freitag, dem 13. November, töten mindestens sieben Attentäter in Paris knapp 130 Menschen. Auch sie waren keine Unbekannten und den Behörden in Zusammenhang mit Syrien-Reisen, Radikalisierung und Unterstützung einer terroristische Organisation aufgefallen.
Die Anschläge in Paris haben die Diskussion um das geplante Staatsschutzgesetz und mehr Überwachung wieder entfacht. Das neue Gesetz soll möglichst terroristische Anschläge verhindern und zur Aufklärung eben dieser beitragen. Kritiker wie der Grünen-Sicherheitssprecher Peter Pilz sehen allerdings eine Menge Lücken in der lückenlosen Überwachung.
Verhandlungen um Gesetz
Zur Erinnerung: Am 30. Juni hat der Ministerrat den Gesetzesentwurf zum neuen Staatsschutzgesetz verabschiedet. Seitdem liegt das Papier im Parlament. Denn Datenschützer, die Oppositionsparteien Neos und Grüne sowie Teile der SPÖ laufen gegen den Entwurf Sturm. Zuletzt lagen sich die Klubobmänner von SPÖ und ÖVP, Andreas Schieder und Reinhold Lopatka, deswegen in den Haaren.
Der Entwurf aus dem Haus von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) definiert den Staatsschutz als eigenen Aufgabenbereich, der dem Bundesamt für Verfassungsschuzt und Terrorismusbekämpfung (BVT) und den neun eigenen Landesämtern unterstellt wird. Das Gesetz sieht in seiner aktuellen Fassung eine weitreichende Kompetenzerweiterung für die Sicherheitsbehörden vor. So sollen verdeckte Observationen, Abhörmaßnahmen, Verbindungsdaten von Verdächtigen auch ohne richterliche Genehmigung, wie derzeit notwendig, eingeholt werden können. Außerdem ist eine Analysedatenbank vorgesehen, in der Informationen über Verdächtige, deren Umfeld und deren Bekannte gespeichert werden sollen.
Außerdem sollen künftig sogenannte Vertrauensleute, zum Beispiel Mitglieder der Dschihadisten-Szene, bei Ermittlungen zum Einsatz kommen können.
"Wir brauchen diese Instrumente im Kampf gegen die Terroristen", sagte Mikl-Leitner am Mittwoch vor dem Ministerrat. Das sieht Grünen-Sicherheitssprecher Pilz naturgemäß anders. "Das Lopatka-Prinzip, weniger Freiheit führt zu mehr Sicherheit, stimmt nicht", sagte er vor Journalisten. Frankreich gehöre mit Großbritannien zu jenen EU-Staaten mit den stärksten Überwachungsapparaten inklusive Vorratsdatenspeicherung. Trotzdem hätten die Anschläge nicht vereitelt werden können. "Weil man vor lauter Heu die Nadel nicht mehr findet", polterte Pilz. Die große Menge an Daten, die hier gesammelt würden, mache es unmöglich, die Informationen in der Tiefe zu analysieren.
Am derzeitigen Entwurf des BMI kritisierte er etwa, dass dieser sich nicht nur gegen religiös oder weltanschaulich motivierten Terror richte, sondern auch gegen Delikte wie "Verspottung der Landeshymne und gewaltbereite Hooligans". Zudem übte Pilz Kritik an der geplanten Analysedatenbank und dem möglichen Datenaustausch mit ausländischen Geheimdiensten wie der NSA oder dem deutschen BND. Deshalb forderte er etwa eine starke parlamentarische Kontrolle der heimischen Nachrichtendienste und gezielte, anlassbezogene Überwachung statt Massenausspähung.
Terrordelikte steigen
International ist die Zahl der Terroropfer dramatisch gestiegen. Laut dem Londoner Institut für Wirtschaft und Frieden sind im Vorjahr 32.650 Menschen bei Terrorangriffen ums Leben gekommen. Aus einem Papier des Innenministeriums geht hervor, dass allein heuer 144 Menschen bei neun Anschlägen in Frankreich, Belgien, Dänemark und der Türkei ums Leben gekommen sind. In dieser Rechnung sind die Anschläge auf "Charlie Hebdo" mit zwölf Toten und jene in Paris mit 130 Opfern nicht eingerechnet.
Auch wenn Skeptiker scharfe Kritik an der Arbeit der Geheimdienste üben und diesen vorwerfen, Anschläge nicht verhindern zu können, gänzlich nutzlos sind sie nicht. Das räumt auch Pilz ein: "Mir geht es nicht darum, Massenüberwachung zu verhindern, sondern darum, dass wir einen erfolgreichen Geheimdienst haben."
Aus dem gleichen Papier des Innenministeriums geht nämlich auch hervor, dass zwischen dem 9. Jänner und dem 12. November dieses Jahres insgesamt 19 terroristische Anschläge in Europa vereitelt wurden. Zum Teil scheiterten diese in der Durchführung. Ein Attentäter wurde in einem Zug von Paris nach Amsterdam von Fahrgästen überwältig, ein anderer schoss sich selbst ins Bein. Zum Teil gelang das aber durch intensive Überwachung im Vorfeld. Auch in Österreich wurde ein erst 14-Jähriger gefasst, der nach eigenen Angaben den Westbahnhof in die Luft sprengen wollte. Eine Ausweitung der rechtlichen Kompetenzen des Verfassungsschutzes müsse dennoch nicht zwingend zu einer besseren geheimdienstlichen Arbeit führen, meint der Datenforensiker Uwe Sailer. Der Linzer Kriminalbeamte war 2010 im Auftrag des BVT maßgeblich an der Zerschlagung der rechtsextremen Internet-Plattform "Alpen-Donau-Info" beteiligt und wird als Experte immer wieder von den Verfassungsschützern beauftragt, wenn es gilt, die Datenspuren von verfassungsfeindlichen Organisationen zu sichern und auszuwerten.
Sailer sieht vor allem die Ausweitung der Speicherungsmöglichkeiten im geplanten Gesetz ambivalent: Die Exekutive sei natürlich immer darauf aus, möglichst viele Daten und Informationen zu bekommen. "Es stellt sich aber die Frage nach der Verarbeitung dieser Informationen. Dazu brauche es vor allem kompetentes Personal, Mitarbeiter, die fremde Sprachen beherrschen, die Ahnung vom kulturellen Hintergrund oder Kenntnis von bestimmten Szenen und Ideologien haben. An diesen Kompetenzen mangelt es nicht nur bei uns, auch andere Staaten haben dieses Problem", so Sailer. Vieles könne man auch ohne technische Maßnahmen in Erfahrung bringen, wenn man über entsprechende inhaltliche Qualifikationen verfüge. Genau diese würden aber einem beträchtlichen Teil der Verfassungsschützer fehlen. "Wenn heute im BVT Leute sitzen, die keine Ahnung von Rechtsextremismus haben und gerade noch wissen, was sie in der Schule über den Nationalsozialismus gelernt haben, dann muss man zuerst hier ansetzen."
Kann der Datenforensiker nachvollziehen, dass die Verfassungsschützer in gewissen Bereichen mehr Kompetenzen fordern, um ihrer Arbeit besser nachkommen zu können? Sailer übt grundsätzliche Kritik: "Der österreichische Verfassungsschutz ist nach wie vor nicht ordentlich aufgestellt. Er soll einerseits geheimdiestliche Arbeit leisten, andererseits ist er Exekutive und soll strafbare Handlungen sofort zur Anzeige bringen." Weiters stelle sich die Frage, wie weit die Bevölerung bereit sei, bei einer Einschränkung der Privatsphäre mitzugehen.
Auch wenn Österreich als neutraler Staat nicht an erster Stelle auf der Angriffsliste der Terroristen steht, kann auch hierzulande kein Attentat gänzlich ausgeschlossen werden. Die Behörden beobachten derzeit 70 Syrien-Rückkehrer, die je nach Gefahreneinstufung rund um die Uhr oder teilweise überwacht werden, wie Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, erklärt. Dass es angesichts der aktuellen Terrorgefahr in Europa ein neues Staatsschutzgesetz geben wird, darüber ist man sich im Parlament einig. Bis Mitte nächsten Jahres soll dieses auch in Kraft sein. Darüber, was der Staat darf und wie viel Überwachung notwendig ist, wird aber noch gestritten werden.