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Lückenschluss mit Lücken

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Wie viel ist dem Publikum der öffentlich-rechtliche ORF wert?


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Was sind dem Publikum die "Zeit im Bild", das "Morgenjournal", die Hahnenkamm-Abfahrtsübertragung oder das Live-Neujahrskonzert aus dem Musikverein wert? Die Politik hat entschieden: 15 Euro im Monat soll der ORF-Beitrag in Zukunft jeden Haushalt kosten. Bisher zahlte jeder Haushalt 22,45 Euro pro Monat für den österreichischen Rundfunk. Somit wird die ORF-Gebühr für die bisher 3,2 Millionen Gebührenzahlerinnen und -zahler um ein paar Euro billiger, und es werden nun auch wohl 300.000 bis 700.000 Haushalte und Betriebe, die bisher keine GIS-Gebühren bezahlt haben, zur Kasse gebeten werden. Medienministerin Susanne Raab und die Grünen-Klubobfrau Sigi Maurer wollten sich aber am Donnerstag auf keine genauen Zahlen festlegen, der ORF stellt sich jedenfalls auf ein 300-Millionen-Euro-Sparpaket bis zum Jahr 2026 ein.

Warum mussten die ORF-Gebühren überhaupt neu geregelt werden? Schuld daran ist die sogenannte Streaming-Lücke. Denn wer aktuell ORF-Inhalte über Podcast (z.B. Ö1) oder Fernsehinhalte über die ORF-Website konsumiert, kann sich die ORF-Gebühren sparen, solange sich kein Fernseher oder Radio im Haushalt befindet. Diese Lücke wollte der Gesetzgeber schließen.

Die nun gefundene Lösung ist ein Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Finanzierung des ORF ist gesichert. Freilich: Diejenigen, die bisher keine Gebühren gezahlt haben, sind Medienkonsumenten, die kein Radio mehr hören, sondern Podcasts und Musik-Streaming-Dienste nutzen, und die, wenn sie einen Film sehen wollen, nicht den Fernseher einschalten, sondern ihren Laptop. Also eher jüngeres Publikum.

Der ORF hat somit den Auftrag, dieses Publikum dort zu erreichen, wo es sich tummelt: im Netz. Als Vorbild für den ORF wird immer wieder das deutsche Content-Netzwerk von ARD und ZDF - funk.net - gehandelt, mit dem die deutschen öffentlich-rechtlichen dem Publikum zwischen 14 und 29 Jahren ein attraktives Angebot machen. Hürden, die dem ORF bisher im Netz auferlegt sind, sollen dafür fallen.

Doch die Ziel- und Interessenskonflikte bleiben: Privatradios und private TV-Sender werden weiterhin argwöhnisch darauf achten, dass sie ihre ohnehin schwierige Wettbewerbsposition gegenüber dem ORF nicht einbüßen. Zeitungsverleger sehen ihre Zukunft im multimedialen, digitalen Bereich und investieren immer mehr in Video- und Audio-Formate - die angestammten Bereiche des ORF, der mit der "blauen Seite" orf.at auch das reichweitenstärkste Newsportal des Landes betreibt. Der ORF wiederum muss im Aufmerksamkeits-Konkurrenzkampf bei den für den Werbemarkt wichtigsten Zielgruppen gegen Netflix, Disney+, Apple TV, Amazon Prime sowie YouTube, Instagram und TikTok bestehen.

Für diesen härter werdenden Konkurrenzkampf wird der ORF jeden Cent bitter benötigen.