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Lukaschenko-Herausforderin: "Ich fürchte mich jeden Tag"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

In Weißrussland fordert Swetlana Tichanowskaja am Sonntag bei den Präsidentschaftswahlen das autokratische System von Alexander Lukaschenko heraus. Ein Interview über Proteste, Fleischlaibchen und die Angst als ständigen Begleiter.


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Tausende Menschen strömen derzeit zu den Kundgebungen der weißrussischen Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, so viele wie noch nie in der Geschichte der Republik Belarus. Ihr Mann, ein YouTube-Blogger und Regimekritiker, wollte bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag gegen Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko antreten. Er wurde nicht zu der Wahl zugelassen, im Mai unter fadenscheinigen Vorwürfen festgenommen und befindet sich derzeit im Gefängnis. Seine Frau Swetlana wurde hingegen zu den Wahlen zugelassen. Gemeinsam mit zwei weiteren Frauen aus den Wahlkampfstäben anderer Oppositionspolitiker, die nicht zur Wahl zugelassen wurden, tourt Tichanowskaja derzeit durch das Land - nicht ohne auf Probleme zu stoßen: So wurde ihre Wahlkampfleiterin Maria Moros am Donnerstag kurzzeitig festgenommen. Auf die Fragen der "Wiener Zeitung" antwortete Tichanowskaja schriftlich.

"Wiener Zeitung": Ihnen und Ihren Kolleginnen Maria Kolesnikowa und Veronika Tsepkalo ist gelungen, was anderen Oppositionspolitikern in Belarus noch nie gelungen ist: sich gegen Alexander Lukaschenko zu vereinen. Warum?

Swetlana Tichanowskaja: Wir haben uns einfach rund um eine Forderung zusammengeschlossen: freie und faire Wahlen. Dafür kämpfen wir alle drei gemeinsam. Ich bin nur das Symbol der Veränderung, um als Übergangspräsidentin für freie und faire Wahlen zu sorgen. Dann können auch jene Kandidaten, die derzeit inhaftiert oder ins Ausland geflohen sind, mit ihren Programmen antreten: mein Mann Sergej Tichanowskij, Waleri Tsepkalo und Wiktor Babariko. Wenn die Wahlen endlich frei und fair sein werden, dann kann jeder Belarusse über die Zukunft des Landes entscheiden und frei zwischen diesen Kandidaten wählen.

Sie sind innerhalb weniger Tage zur populärsten Gegenkandidatin von Lukaschenko geworden. Bei Ihren Kundgebungen im ganzen Land versammeln sich derzeit so viele Menschen wie noch nie in der Geschichte des Landes. Wie konnte das geschehen?

Das ist natürlich großartig. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das nicht mein Verdienst ist. Ich habe ja gar nichts Besonderes gemacht! Ich habe nicht jahrelang darauf hingearbeitet und auch keine Heldentat vollbracht. Andererseits hätte vielleicht nicht jede Ehefrau diese Entscheidung getroffen, an der Stelle ihres Mannes anzutreten. Ich habe einfach nicht aufgegeben.

Ihr Mann wurde im Mai festgenommen, er sitzt im Gefängnis. Ihre Kinder wurden mittlerweile aus Sicherheitsgründen ins Ausland gebracht. Haben Sie selbst denn keine Angst?

Natürlich fürchte ich mich. Jeden Tag stehe ich auf, und ich habe Angst. Angst davor, dass es Provokationen geben könnte, dass Menschen zu Schaden kommen könnten. Dass gegen mich Vorwürfe fabriziert werden, dass ich festgenommen, in einen Bus gezerrt und entführt werde, wie das in unserem Land immer wieder vorkommt. Aber ich sammle meine Kräfte, um diesen Ängsten zu widerstehen. Weil ich weiß, dass wir ein Ziel haben. Wir müssen einfach gewinnen, davon hängt das Leben unserer Männer und das Leben unseres ganzen Volkes ab. Jeden Tag überwinde ich meine Ängste und bitte jeden Belarussen, dasselbe zu tun.

Lukaschenko setzt die Proteste mit umstürzlerischen Putsch-Plänen aus dem Ausland gleich, zuletzt hat er auch mit dem Einsatz der Armee gegen die Straßenproteste gedroht. Befürchten Sie denn nicht, dass es am Ende zu einer gewaltsamen Niederschlagung der Proteste kommen könnte, wie etwa noch am Wahlabend im Jahr 2010?

Wir wollen keinen Maidan, wir wollen keinen Krieg. Wir mobilisieren nur für freie und faire Wahlen, wir sind gegen Wahlfälschungen. Das ist alles. Deswegen wenden wir uns direkt an die Wahlkommissionen: Kommt auf die Seite der ehrlichen Leute! Wir wenden uns an die Polizei, an die Armee. Zudem glaube ich, dass es einen großen Eindruck auf Lukaschenko haben wird, wenn er sieht, dass die Leute ihn eigentlich nicht mehr länger haben wollen. Letztlich hoffen wir auch, dass sich unsere Soldaten darüber bewusst sind, dass sie eigentlich ihrem Volk dienen und nicht einen verbrecherischen Befehl ausführen sollen. Wir laden sie ein, von der dunklen, schmutzigen Seite auf die Seite des Lichts zu wechseln ("sweta", das russische Wort für "Licht", ist zugleich die Kurzform für "Swetlana", Anm.). Außerdem wenden wir uns hiermit an die Regierungschefs aller EU-Länder: Bitte, fordern Sie Lukaschenko auf, keine Waffen gegen friedliche Bürger einzusetzen!

Zugleich wollen Sie aber nicht direkt zu Protesten am Wahltag aufrufen?

Wenn es bei diesen Wahlen zu offensichtlichen Fälschungen kommt, muss jeder Belarusse selbst für sich entscheiden, wie er darauf reagiert. Jeder Belarusse trägt Verantwortung für die Zukunft seines Landes. Und wenn die Menschen entscheiden, dass nur ein friedlicher Protest - wie er auch in der Verfassung garantiert ist - dabei helfen kann, unsere Stimmen zu schützen, dann wird das nun mal die äußerste Maßnahme sein, natürlich.

Immer wieder betonen Sie, dass Sie eigentlich nicht in die Politik wollen und sich nur gezwungen sahen, für Ihren Mann in die Bresche zu springen. Legendär ist bereits Ihre Aussage: "Ich will keine Macht. Ich will nur meinen Mann und meine Kinder zurück und weiter meine Fleischlaibchen kochen." Schließen Sie wirklich jede politische Aktivität in Zukunft aus?

Ich kann es ausschließen, im engeren Sinn politisch aktiv zu sein. Ich könnte mir nur eine Tätigkeit in der sozialen Sphäre vorstellen, wo ich schon Erfahrung habe und weiß, worum es geht. Aber wenn einmal einer unserer Männer Präsident sein wird, dann werden ohnehin sie dafür sorgen, das Land auf eine neue Ebene zu heben.

In die erste Reihe der Politik zieht es Sie nach wie vor nicht?

Was heißt schon in der ersten Reihe? Vielleicht werde ich die First Lady, wenn mein Mann Präsident wird. Ist das nicht auch die erste Reihe?

Zur Person: Swetlana Tichanowskaja (37) hat Pädagogik mit Schwerpunkt auf Englisch und Deutsch studiert. Danach hat sie als Übersetzerin gearbeitet. Zuletzt kümmerte sich Tichanowskaja ausschließlich um den Haushalt und ihre zwei Kinder. Sie ist die Ehefrau des prominenten Videobloggers Sergej Tichanowskij.