Oppositionellen drohen 15 Jahre Haft. | Interesse für die Prozesse wegen Krise nur gering. | Minsk. Humor und Siegesgewissheit scheinen Wladimir Neklajew nicht verlassen zu haben: Mit demonstrativ breitem Lächeln und Victory-Zeichen erschien der oppositionelle Schriftsteller und Präsidentschaftskandidat im Gerichtssaal in Minsk. Am Donnerstag begann der Prozess gegen ihn und Witali Rymaschewski, zwei von insgesamt sieben Präsidentschaftskandidaten, die unmittelbar nach den international kritisierten Präsidentenwahlen im Dezember vom Geheimdienst KGB inhaftiert worden waren.
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Auch das Verfahren gegen Andrei Sannikow - der Führer der Plattform "Europäisches Belarus" war neben Neklajew der wohl aussichtsreichste Konkurrent Lukaschenkos um die Präsidentschaft - wurde fortgesetzt. Die weißrussische Führung hat seit den Protesten gegen die Präsidentenwahlen im Dezember die innenpolitischen Zügel wieder straff angezogen.
Besonders Sannikow, der mit einer regimekritischen Journalistin verheiratet ist und mit "charter97.org" die bekannteste oppositionelle Website in Weißrussland mitbegründet hat, droht eine lange Haft: Beobachter in Minsk sprechen davon, der Oppositionspolitiker, der an den vom Regime als illegal bezeichneten Demonstrationen teilgenommen hatte, werde wohl kaum unter fünf Jahren Haft davonkommen. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Die Chancen Neklajews auf ein geringeres Strafmaß stehen ein wenig besser: Er war bereits am Weg zu den Demonstrationen von der Polizei zusammengeschlagen worden.
Großes Thema sind die Prozesse in Minsk aber nicht: "Die staatlichen Medien schreiben kaum darüber, und wenn, dann tendenziös", sagt ein der Opposition nahe stehender Beobachter der "Wiener Zeitung". Was die Leute beschäftige, sei weit eher die wirtschaftliche Talfahrt, der das Land ausgesetzt ist. Auch für die Mittelschicht wird es offenbar zunehmend eng: Wegen der Entwertung des weißrussischen Rubels kostet etwa ein Ägypten-Urlaub, den sich manche durchaus geleistet hatten, heuer rund doppelt soviel wie noch vor einem Jahr. Auch die Lebensmittelpreise im Land steigen rasant.
An der polnisch-weißrussischen Grenze lieferte ein Mitstreiter Sannikows, Alexander Lukin, unterdessen eine spektakuläre Aktion: Der Oppositionelle befand sich auf dem Rückweg von einer Auslandsreise nach Weißrussland, als er auf dem Grenzübergang Slawatytschi, bereits auf weißrussischem Gebiet, bemerkte, dass er verhaftet werden sollte. Daraufhin seien Lukin und seine Frau plötzlich über die Grenze zurück nach Polen gerannt, berichtete die polnische Zeitung "Rzeczpospolita". Die beiden Kinder verblieben mit einem litauischen Freundjenseits der Grenze im Auto. Lukins Frau soll sich mittlerweile aber wieder in Weißrussland aufhalten.