Der weißrussische Polit-Analyst Artjom Shraibman über die vorsichtige Öffnung seines Landes und den Österreich-Besuch von Präsident Alexander Lukaschenko kommende Woche.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Am kommenden Dienstag ist der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko, der aufgrund seines rüden Umgangs mit der Opposition in der EU lange als "letzter Diktator Europas" bezeichnet wurde, erstmals offiziell zu Gast in Wien. Es ist seine erste Visite in einem EU-Land nach der Aufhebung der Sanktionen gegen Belarus 2016. Was heißt das? Ist Österreich Lukaschenkos favorisierter Partner in der EU?
Artjom Shraibman: Ja. Österreich war innerhalb der EU immer auf der Seite der Pragmatiker, was den Umgang mit Belarus betrifft. So hatte sich Wien, als es noch EU-Sanktionen gab, für deren Aufhebung eingesetzt. Lukaschenko schätzt diese Position. Vermutlich besucht er deshalb zuerst Wien, obwohl er auch von anderer Seite Einladungen erhalten hatte. Er war ja bereits zum Gipfel der Östlichen Partnerschaft der EU nach Brüssel eingeladen oder auch nach Polen, hat die Einladungen aber nicht angenommen. Was noch hinzukommt: Die Geschäftskontakte zwischen Österreich und Weißrussland sind ziemlich eng. Es gibt viele österreichische Investoren im Land, etwa den Mobilfunkanbieter A1 oder die Strabag. Lukaschenko sieht Österreich, um mich zurückhaltend auszudrücken, als das EU-Land an, das gegenüber Belarus am freundlichsten eingestellt ist.
In Bälde, am 17. November, finden in Belarus Parlamentswahlen statt. Nun hat das Parlament seit seiner Entmachtung in den 1990er Jahren nur wenig zu sagen. Dennoch gilt der ganze Wahlprozess als von oben gelenkt - werden im kommenden Parlament eigentlich auch Gegner des Präsidenten sitzen?
Ich denke schon. Im gegenwärtigen Parlament sitzen ja auch zwei Oppositionelle. Aber die werden dort wohl nicht mehr lange sitzen.
Warum?
Weil sie de facto durch andere Oppositionelle ersetzt werden. Die weißrussische Führung handhabt das so. Es handelt sich um einen Prozess, der sehr bewusst gesteuert wird. Nach einer Legislaturperiode werden die oppositionellen Abgeordneten im Parlament quasi ausgetauscht und durch neue Abgeordnete, die man vorher ausgewählt hat, ersetzt.
Nonkonforme Kandidaten, die nicht von der Staatsführung ausgewählt wurden, haben also keine Chance?
Ich will nicht sagen, dass die wenigen Oppositionellen, die im Parlament sitzen, loyal zum Präsidenten wären. Die Noch-Abgeordnete Anna Kanapatska beispielsweise ist das sicher nicht. Es ist nur so: Als sie ins Parlament kam, war sie noch eine weitgehend unbekannte Aktivistin. Mittlerweile wurde sie etwas bekannter. Bevor sie für das Regime zu bekannt und also möglicherweise gefährlich wird, muss verhindert werden, dass sie wiedergewählt wird. Also protegiert man einen neuen No-Name-Kandidaten. Wenn ein Oppositionspolitiker zu bekannt oder gar landesweit populär ist, ist das eine Garantie, dass er oder sie nicht ins Parlament kommt. Die Führung will solchen Leuten keine zusätzliche Plattform geben. Sie brauchen die Oppositionellen nur, um dem Westen zu signalisieren, dass es eine Demokratisierung gibt. Eine echte Gefahr darf von ihnen aber nicht ausgehen. Und so wählt man halt diejenigen unter den Regimekritikern aus, die am unbekanntesten sind.
In letzter Zeit ist auch bei manchen Beobachtern immer wieder davon die Rede, dass es so etwas wie einen Dialog der weißrussischen Führung mit Oppositionellen oder der sogenannten Zivilgesellschaft gibt. Ist da was dran?
Es ist tatsächlich so, dass das Misstrauen, das früher zwischen der Zivilgesellschaft und der Führung vorgeherrscht hat, in den letzten Jahren abgenommen hat. Weil die Repression seitens des Regimes zurückgegangen ist. Gleichzeitig gibt es tatsächlich in manchen Bereichen einen Dialog. Natürlich nicht so wie etwa vor mehr als 30 Jahren in Polen mit dem runden Tisch, der zu einem Machttransfer führte. Niemand in der Führung denkt daran, die Macht mit der Opposition zu teilen. Wohl aber gibt es einen Dialog in einigen konkreten Bereichen wie etwa Ökologie oder soziale Wohlfahrt. Regierungsvertretern ist es heute nicht verboten, mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu sprechen. Selbst Minister gehen heute zu Foren, die von NGOs organisiert wurden. Vergangene Woche fand beispielsweise ein Wirtschaftsforum in Minsk statt, an dem hohe Regierungsvertreter ebenso teilnahmen wie Repräsentanten der Zivilgesellschaft, unabhängige Ökonomen oder internationale Experten. Auch das Minsker Dialogforum, bei dem Lukaschenko auftritt, ist von zivilgesellschaftlichen Kräften organisiert. Und in manchen Sektoren wie dem Pflegebereich oder dem Kampf gegen die Armut gibt der Staat sogar Macht an die Zivilgesellschaft ab.
Warum?
Die Regierung glaubt nicht, dass sie das Risiko eingeht, gestürzt zu werden, indem sie NGOs erlaubt, im sozialen Bereich administrative Funktionen des Staates auszuüben. Bei all diesen Lockerungen ist aber eines auch klar: Sollte dadurch das Bestehen des Regimes gefährdet werden, wird Lukaschenko die Reformen resolut stoppen.
Im an sich engen Verhältnis zwischen Belarus und Russland kriselt es seit Jahren. Manche fürchten, Russlands Präsident Wladimir Putin könnte auch in Belarus eine Art Krim-Szenario initiieren. Fürchten Sie das auch?
Nein. Weißrussland ist ein ganz anderer Staat als die gespaltene Ukraine. Es ist ein sehr homogenes Land. Sicher, im Westen gibt es einige Katholiken und viele Polen, aber im Großen und Ganzen sind die Unterschiede zwischen Brest im Westen und der Grenze zu Russland marginal. 95 Prozent der Menschen sprechen Russisch. Es gibt keinen prorussischen Separatismus. In Belarus wäre keine verdeckte Operation mit grünen Männchen ohne Abzeichen - wie auf der Krim - möglich. Putin müsste also mit offenen Karten spielen, einen echten, blutigen Krieg beginnen. Der wäre aber auch in Russland alles andere als populär. Die Menschen dort haben, das zeigen Umfragen, mehr als genug von militärischen Interventionen. Man legt eher Wert auf ein ausreichendes Auskommen. Außerdem wären die Kosten für Moskau zu hoch. Man würde sich isolieren und harte Sanktionen auf sich ziehen. Dazu kommt, dass die Krim für viele Russen einen hohen emotionalen Wert hat. Ein Anschluss Weißrusslands hingegen wird mehrheitlich abgelehnt. Warum also sollte Putin so ein Risiko eingehen?