Nach außen unterstützt Weißrusslands Staatschef voll und ganz den Kriegskurs von Russlands Präsident Wladimir Putin. Dennoch hält er sein Land konsequent aus dem Ukraine-Krieg heraus - und sucht auch wieder Kontakte Richtung Westen.
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Offiziell passt zwischen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinen weißrussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko kein Blatt Papier. Die beiden Langzeitpräsidenten, die ihre Länder diktatorisch mit harter Hand regieren, scheinen wie füreinander geschaffen zu sein. Sie treffen sich immer wieder, zelebrieren öffentlich ihre Männerfreundschaft, tauschen sich aus - zuletzt Mitte April bei einem Besuch des neuen russischen Weltraumbahnhofs "Wostotschnyj" in der fernöstlichen Amur-Region.
Lukaschenko stellte sich dort einmal mehr voll hinter Putin: Während sich dieser siegesgewiss gab, was den Krieg in der Ukraine betrifft, erklärte sein weißrussischer Kollege das Massaker von Butscha zur "psychologischen Spezialoperation der Briten". Seit Kriegsbeginn hatte sich der Autokrat von Minsk eindeutig auf die Seite Moskaus geschlagen, hatte Russland erlaubt, Truppen in Belarus zu stationieren und die ukrainische Hauptstadt Kiew von weißrussischem Territorium aus zu attackieren.
Überrascht hat das kaum jemanden: Lukaschenko ist spätestens seit der Niederschlagung der Proteste gegen ihn 2020 auf die Rückendeckung Putins angewiesen, will er an der Macht bleiben - im Westen, mit dem er zuvor geflirtet hatte, hat er durch seine brutale Repression jeden Kredit verspielt, ist er, ganz wie jetzt Putin, zur "toxischen" Person geworden. Entsprechend "ultraloyal", so der Politologe Waleri Karbalewitsch, klinge Lukaschenkos Rhetorik.
Sie klinge allerdings nur so, meint der Experte aus Minsk. Denn Karbalewitsch will in Lukaschenkos demonstrativ solidarischem Auftreten dessen Versuch erkennen, zu verschleiern, dass Belarus nicht bereit ist, in den Krieg gegen die Ukraine einzusteigen. Putin würde das wohl gerne sehen, obwohl die weißrussische Armee wenig kampferprobt ist. Der ungeklärte, wohl russische Fliegerangriff auf grenznahe weißrussische Dörfer Mitte März hätte Lukaschenko die Möglichkeit gegeben, die Ukraine dafür verantwortlich zu machen und loszuschlagen. Doch der Autokrat von Minsk hielt still.
Was nicht wundert: Eine weißrussische Kriegsteilnahme würde für ihn jede Menge Risiken mit sich bringen. Putins Krieg ist in Belarus nämlich ziemlich unpopulär. In den vergangenen Wochen kam es immer wieder zu Sabotageakten gegen den russischen militärischen Nachschub, es gibt viele Berichte von jungen Männern, die das Land verlassen aus Angst, gegen die ukrainischen Nachbarn kämpfen zu müssen.
Eine aktive Kriegsteilnahme Weißrusslands würde wohl die Proteste gegen Lukaschenko wieder anfachen, die dieses Mal auch gewaltsam werden könnten - und Lukaschenko hatte schon alle Mühe, die weitgehend friedlichen Proteste 2020 einzudämmen. Zudem hat das Wort Krieg in Weißrussland einen noch schreckenerregenderen Klang als anderswo: Das Gebiet des heutigen Belarus war vom Zweiten Weltkrieg am stärksten betroffen, ein Viertel der Gesamtbevölkerung kam ums Leben. Auch der Krieg in Afghanistan in den 1980er Jahren, an dem viele Weißrussen teilnahmen und in dem sie ihr Leben ließen, ist noch in lebhafter Erinnerung.
Lukaschenko will Garantien
Wer vor Jahren noch Weißrussen älteren Semesters fragte, warum sie Lukaschenko unterstützen, konnte durchaus zu hören bekommen: "Weil wir keinen Krieg haben" - ganz im Gegensatz zum russischen Nachbarn, wo junge Männer fürchten mussten, in Tschetschenien oder anderswo zu kämpfen. Lukaschenko hatte sich immer auch als Garant dieses Friedens verkauft. Der Einstieg in einen Krieg, der noch dazu gegen die nah verwandten Ukrainer geführt würde, würde das Risiko für Lukaschenko, die Macht zu verlieren, wohl drastisch erhöhen.
Aber kann es sich Lukaschenko überhaupt leisten, sich Putins Wünschen zu verweigern? Ist Belarus nicht de facto ohnehin schon fast ein Teil Russlands? "Wenn Putin diesen Krieg schnell gewonnen hätte, dann wäre es um die Unabhängigkeit von Belarus wohl geschehen gewesen", analysiert Osteuropa-Experte Alexander Dubowy im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nachdem der Krieg in der Ukraine aber nicht so läuft, wie es sich Putin wünscht, tun sich auch für Lukaschenko nach Ansicht Dubowys wieder (geringe) Handlungsspielräume auf.
Und das möglicherweise, so abenteuerlich es klingt, auch im Verhältnis zum Westen: "Lukaschenko hat zwar hierzulande das Image eines toxischen Politikers. Allerdings war das auch in der Vergangenheit schon der Fall", erinnert Dubowy. In der Tat ist es dem "letzten Diktator Europas" über die Jahre immer wieder gelungen, sich wieder ins Spiel zu bringen. Sein Haupthelfer dabei war stets Wladimir Putin. Dessen Krim-Annexion und Donbass-Krieg holten Lukaschenko bereits 2014/15 aus dem Eck, als er sich als Vermittler zu profilieren suchte. Jetzt, inmitten einer viel schärferen Konfrontation, bestünde seitens des Westens eigentlich enormes Interesse an einem halbwegs souveränen Belarus.
Ob man sich im Westen angesichts von Lukaschenkos Übeltaten in den beiden vergangenen Jahren erneut dazu überwinden kann, mit dem Diktator in Minsk zu reden, ist freilich mehr als fraglich. Schließlich hatte der nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt, sondern auch ein Flugzeug gekapert und gezielt Migranten aus Nahost in die EU zu schleusen versucht. Belarus versucht jedenfalls, Kontakte zu knüpfen: Außenminister Wladimir Makei hat sich brieflich an Brüssel gewandt mit der Bitte, den Dialog wiederherzustellen - auch um die Sanktionen wegzubekommen, die Minsk schwer zu schaffen machen. Und Lukaschenko versucht abermals, zwischen Kiew und Moskau zu vermitteln - diesmal, aufgrund seiner gleichzeitigen Parteinahme für Russland, allerdings mit deutlich weniger Erfolg.
In und um Minsk wird derzeit heftig spekuliert: Lukaschenko, heißt es, suche über den Vatikan Kontakt zum Westen. Sein Ziel seien unter anderem persönliche Sicherheitsgarantien - auch für den Fall einer russischen Niederlage. Sogar über einen möglichen Rücktritt des Staatschefs wird spekuliert - falls er seine Garantien bekommt.
Wollte Russland Einmarsch?
Gesichertes Wissen sind all diese Gerüchte freilich nicht. Dass Minsk derzeit auf diplomatischem Wege versucht, aus der Schmuddelecke zu kommen, ist für Beobachter aber klar. Und so "ultraloyal" Lukaschenkos Statements auch formuliert sein mögen - bei genauerem Hinhören wird immer auch ein Dissens zu Putin spürbar. So auch beim jüngsten Treffen in Fernost: Lukaschenko hatte dort die stets auftauchenden Gerüchte, es käme zu einem Anschluss Weißrusslands an Russland, geschickt aber doch klar dementiert: Er und Putin seien "nicht so dumm", dass man beim Aufbau des neuen Unionsstaates "mit alten Methoden" arbeiten würde. Dieser werde eine "Einheit zwischen zwei unabhängigen Staaten".
Ob das der Wahrheit entspricht, ist fraglich: "Russische Investigativmedien haben kürzlich berichtet, dass Russland bereits im Herbst 2020 Pläne hatte, in Belarus einzumarschieren - offiziell, um Lukaschenko zu unterstützen, in Wahrheit aber, um die Frage Belarus endgültig zu klären", berichtet Dubowy.