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Lukaschenkos Schicksal liegt in Putins Hand

Von Gerhard Lechner

Politik
Ein Streik der Staatsbetriebe, wie hier in Minsk, soll Lukaschenko in die Knie zwingen.
© reuters/Vasily Fedosenko

Der Präsident von Belarus kämpft um seine Macht. Er ist schwach wie nie - und bettelt um ein russisches Eingreifen.


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Es sind historische Tage für die Republik Belarus. Ganze 200.000 Menschen sollen es Schätzungen zufolge gewesen sein, die am Sonntagnachmittag ins Zentrum der Hauptstadt Minsk zogen, um gegen den autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko zu demonstrieren. Zu Ausschreitungen kam es dabei nicht. Anders als in der vergangenen Woche hielten sich auch die Sicherheitskräfte zurück. Im Internet verbreitete Videos zeigten, wie Menschen vor der Zentrale des gefürchteten KGB, einem klassizistisch anmutendem Bau aus der Stalinzeit, Badminton spielten. Am Samstag umarmten Frauen schwer bewaffnete Sicherheitskräfte. Blumen wurden an deren Schilder gesteckt.

Gegen diese Form des Protests erweist sich Lukaschenkos altsowjetisches Regime zunehmend als hilflos. Der Autokrat versuchte am Sonntag zu retten, was zu retten ist. Er ließ tausende seiner Anhänger in Bussen oder Zügen nach Minsk bringen. Lukaschenko selbst beschwor in seiner Rede eine Gefahr durch die Nato und westliche Nachbarstaaten.

Doch den Kampf um die Straße hat der Instinktpolitiker verloren: Etwas mehr als 10.000 Leute dürften zu seiner Kundgebung gekommen sein - deutlich weniger als zu jener der Opposition, die laut offiziellem Wahlergebnis nur etwas mehr als 10 Prozent der Stimmen erreicht hat. Von den mehr als 80 Prozent, die Lukaschenko laut offiziellem Ergebnis unterstützt haben, war an diesem Sonntag in den Straßen von Minsk - abgesehen von Lukaschenkos Veranstaltung - so gut wie nichts zu sehen.

Bereit zur Machtteilung?

Am Montag trat der Autokrat dann vor Arbeitern in einem Staatsbetrieb auf. Die Opposition hatte für Montag zu flächendeckenden Streiks aufgerufen, um Lukaschenko zum Abgang zu zwingen. Mehrere tausend Arbeiter legten ihre Arbeit nieder und beteiligten sich an einem abermaligen Protestmarsch. Der Unmut ist größer als die Angst vor einem Jobverlust bei einem Machtwechsel. Lukaschenko sah sich bei seinem Auftritt mit starkem Gegenwind konfrontiert: "Hau ab!", skandierten die Arbeiter. Es waren Szenen, die an den Fall des Ostblocks erinnerten.

Zurückweichen will der Autokrat aber dennoch nicht: "Solange ihr mich nicht umbringt, wird es keine neuen Wahlen geben", sagte Lukaschenko zunächst am Montag. Er sei aber bereit zu einer Machtteilung, meinte der Staatschef - und verwies auf eine anstehende Verfassungsänderung. Nach dieser, verlautbarte Lukaschenko später, könne er sich Neuwahlen sogar vorstellen - ein Versuch, wertvolle Zeit zu gewinnen. Dem Druck der Straße will der Präsident jedenfalls nicht nachgeben.

Die Frage ist, wie viel Rückhalt im Machtapparat Lukaschenko noch genießt. Immer mehr Menschen wechseln die Seiten. So haben etwa in den letzten Tagen prominente Moderatoren des ansonsten stramm linientreuen staatlichen Fernsehens gekündigt. Sonderpolizisten haben aus Scham ihre Uniformen verbrannt und die Videos davon ins Netz gestellt, der weißrussische Botschafter in der Slowakei, Igor Leschtschenja, zeigte sich mit den Demonstranten solidarisch. In der vergangenen Woche schon sollen vereinzelt Polizisten die Seiten gewechselt haben. Dennoch gelten die "Silowiki", die privilegierten Leute aus dem Sicherheitsapparat, als weitgehend Lukaschenko-treu. Eine Niederschlagung der Protestbewegung ist also immer noch möglich.

Russische Lkw unterwegs?

Vor allem auch deshalb, weil Lukaschenko alles unternimmt, um Rückendeckung aus Russland zu bekommen - jenem Russland, das er vor eineinhalb Wochen wegen der Entsendung angeblicher Söldner nach Weißrussland noch so scharf kritisiert hat. Das lange geplante Nato-Manöver an der Grenze zu Belarus nahm er zum Anlass, um daraus eine akute Bedrohung für Weißrussland zu konstruieren - und seinerseits Truppen zu einer Militärübung an die Grenze zu schicken. Nicht nur Belarus, sondern auch das verbündete Russland sei bedroht - so seine Botschaft. Es ist ein Ansuchen um Intervention. Dass man im Kreml die Argumentation des oft belächelten Lukaschenko ernst nimmt, ist zwar kaum anzunehmen. Eine akute Bedrohung ist wegen eines jährlich abgehaltenen Manövers nicht gegeben.

Dennoch zeigen Filmaufnahmen im Internet, etwa auf currenttime.tv, Kolonnen nicht gekennzeichneter russischer Militär-Lkw, die sich angeblich auf Weißrusslands Grenzen zubewegen. Laut angeblichen Augenzeugen sollen sie Soldaten in schwarzen Uniformen ohne Abzeichen transportieren. Das nährt Spekulationen über ein verdecktes Eingreifen Russlands, ähnlich wie auf der Krim - zwar kaum, um Belarus zu annektieren, möglicherweise aber, um Lukaschenkos Haut zu retten.

Denn ein schwacher Lukaschenko, der weiter an der Macht bleibt, sonst aber ganz auf russische Hilfe angewiesen ist, wäre für den Kreml ideal. Und Lukaschenko ist derzeit nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch schwach wie nie: Durch den brutalen Polizeieinsatz blieb der EU nichts anderes übrig, als die Frage nach Sanktionen erneut aufs Tapet zu bringen. EU-Ratschef Charles Michel hat für Mittwoch einen Sondergipfel per Video angesetzt. Großbritannien erklärte, das amtliche Ergebnis der Wahl nicht anzuerkennen. Politiker wie Tschechiens Regierungschef Andrej Babis und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordern die EU auf, die Protestbewegung zu unterstützen. Den Seiltanz zwischen Ost und West, den Lukaschenko bisher so perfekt beherrschte, kann er jetzt nicht mehr tanzen. Er ist jetzt Wachs in den Händen von Russlands Präsident Wladimir Putin.

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Dennoch ist die Lage auch für Moskau nicht einfach. Eine Mitwirkung an der Niederschlagung der friedlichen Protestbewegung in Weißrussland könnte auch in Russland eher für Unmut als für Euphorie, wie es sie 2014 bei der Krim gab, sorgen. Zwar sendete das russische (wie das weißrussische) Fernsehen bereits Berichte über vom Westen bezahlte Nazis in Belarus, doch anders als in der Ukraine spielen die Nationalisten in Minsk kaum eine Rolle. Ein Eingreifen Russlands könnte die Proteste im eigenen Land noch verstärken.

Keine Gegner Russlands

Das könnte freilich auch ein Sieg der Protestbewegung. Denn damit wäre der Beweis erbracht, dass es möglich ist, erfolgreich ein erstarrtes System zu stürzen. Vorausgesetzt natürlich, Belarus entwickelt sich danach positiver als unter Lukaschenko - was angesichts der Corona-Krise und des Umstands, dass es bei Reformen zunächst viele Verlierer geben würde, nur schwer zu glauben ist.

Der Umstand, dass die aussichtsreichsten Oppositionspolitiker in Belarus keine Gegner Russlands sind, könnte ein Abrücken des Kremls von Lukaschenko befördern. Immerhin leitete der inhaftierte Wiktor Babariko die Belgasprombank, die der russischen Gazprom gehört.