Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU erkennen die Präsidentschaftswahl in Belarus nicht an. Österreichs Grüne fordern, dass "Brückenbauen" neben Wirtschaftsbeziehungen auch Menschenrechte beinhaltet.
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Demokratie und Menschenrechte sind feste Bestandteile der EU, nicht nur schmückendes Beiwerk bei Festreden. Dieses Signal setzten die Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem Weißrussland-Sondergipfel am Mittwoch. Sie erkannten die Wahl vom 9. August nicht an, bei welcher der seit 26 Jahren regierende Alexander Lukaschenko 80 Prozent der Stimmen erzielt haben will. "Die Wahlen in Weißrussland waren weder frei noch fair", sagte ein Sprecher von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Es gebe keinen Zweifel, an massiven Regelverstößen bei der Wahl, erklärte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel.
Damit folgte die gesamte Union dem Beispiel von Weißrusslands Nachbarn Litauen sowie Estland; Beide Staaten erklärten die Wahl in Belarus bereits vor Tagen für nichtig. Angesichts der Festnahme tausender Demonstranten und Bildern von deren Misshandlung war der Handlungsdruck auf die EU gestiegen. Ratspräsident Charles Michel nannte die Gewalt schockierend. Die Freilassung politischer Gefangener ist nun ebenfalls Konsens unter den EU-27. Personen, die für das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten verantwortlich seien, würden mit EU-Sanktionen belegt, kündigte Michel an. Das gelte auch für jene, die für den Betrug bei der Präsidentschaftswahl verantwortlich zeichneten.
Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja erreichte dabei laut offizieller weißrussischer Zählung nur zehn Prozent. Faire und freie Neuwahlen sollten in einigen Monaten stattfinden, ließ Kurz ausrichten. Der Kanzler verwies auf den Vorschlag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, beim Dialog zwischen Führung und Opposition in Belarus behilflich zu sein. Auch Russland solle eingebunden werden.
Ablehnung aus Moskau
Lange ließ die Ablehnung aus Moskau nicht auf sich warten. Außenminister Sergej Lawrow entgegnete, es gebe keinen Bedarf an einer ausländischen Vermittlung. Und in Minsk gibt sich Lukaschenko unnachgiebig: Er solle innerhalb der kommenden beiden Monate vereidigt werden, ließ die zentrale Wahlkommission wissen.
Ungeachtet dessen sind die Resultate des EU-Gipfels ein Erfolg für die weißrussische Oppositionsbewegung. Tichanowskaja forderte unmittelbar vor dem Treffen EU-27, die "betrügerische Wahl nicht anzuerkennen". Die 37-Jährige musste nach der Wahl nach Litauen flüchten. Tichanowskaja wurde von Ewa Ernst-Dziedzic, außenpolitische Sprecherin der heimischen Grünen, nach Österreich eingeladen. "Meine Einladung an Tichanowskaja zielt auf einen breiteren Dialog für einen friedlichen Übergang in ein neues, demokratisches System. Österreichs Rolle als außenpolitische Vermittlerin muss wieder stärker werden. Brückenbauen ist gerade in Belarus nötig", sagt Ernst-Dziedzic zur "Wiener Zeitung".
Das Thema Brückenbauen zwischen Ost und West reklamierte Bundeskanzler Kurz im Zuge seines Besuches in Weißrussland 2019 für sich. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte anlässlich des Lukaschenko-Besuchs in Wien vergangenes Jahr, Österreich sei sehr daran gelegen, die guten Wirtschaftsbeziehungen weiter zu vertiefen. "Es kann aber nicht sein, dass man ausschließlich über wirtschaftliche Beziehungen Brücken baut und die Augen zumacht, wenn grobe Menschenrechtsverletzungen begangen werden", erklärt Ernst-Dziedzic.
Die Außenpolitikerin der Grünen erinnert daran, dass Österreich derzeit die Präsidentschaft im UN-Menschenrechtsrat innehat. "Was derzeit in Belarus passiert, ist ein guter Anlassfall, die UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten daheim aufs Tapet zu bringen. Bei der Umsetzung eines entsprechenden Nationalen Aktionsplans hat Österreich noch Hausaufgaben zu tun. Es ist höchste Zeit für einen Strategieplan mit klaren Kriterien. So können wir Kooperationen eingehen, ohne etwas zu stützen, das nicht mit unserem demokratischen Verständnis vereinbar ist."
"A1 trägt Verantwortung"
Ernst-Dziedzic bezieht sich auch auf die Ausfälle im weißrussischen Telekom-Netz rund um die Präsidentschaftswahl. Nachrichten-Webseiten waren ebenso betroffen wie Messanger-Dienste und soziale Medien. Dadurch sollte die Kommunikation und Information der Bürger gestört werden. Die Ausfälle betrafen auch A1 Belarus, eine Tochter der Telekom Austria. "Hier braucht es eine Überprüfung", kritisiert Ernst-Dziedzic. "Es geht nicht nur um Menschenrechte, sondern auch um Datenschutz. A1 hat die UN-Leitprinzipien implementiert, die Firma trägt Verantwortung, dass Daten nicht missbräuchlich verwendet werden."
Die Telekom Austria erklärte gegenüber der "Wiener Zeitung", A1 Belarus gebe aktiv keine Informationen über Personen weiter, die gegen Präsident Lukaschenko demonstrieren. Allerdings verfüge das weißrussische Innenministerium mittels einer Schnittstelle über Zugriff auf A1-Nutzerdaten. Ob es bei den Protesten davon Gebrauch machte, ist nicht bekannt.
An der Telekom Austria hält die Republik Österreich rund 28 Prozent. "Wenn man sich die gesamte Liste ansieht, in der österreichische Unternehmer tätig sind, müssten sich diese aus sehr vielen autoritär regierten Staaten zurückziehen", sagt Ernst-Dziedzic. "Aber selbst wenn wir uns zurückziehen, ist nicht zwangsläufig das jeweilige Regime davon betroffen, sondern möglicherweise eine Demokratiebewegung. Deshalb wäre ein Aktionsplan samt klaren Kriterien zielführender, um Menschenrechte und Wirtschaft zusammen zu denken."