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Lula kämpft um politisches Erbe

Von WZ-Korrespondentin Susann Kreutzmann

Politik
Präsident Lula hat seine Vertraute Dilma Rousseff zur Nachfolgerin erkoren. Foto: ap

Spekulationen über Amt des UN-Generalsekretärs. | Sechs Monate vor Wahl müssen Kandidaten politische Ämter zurücklegen. | São Paulo. Die Reiseagenda von Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva ist so gut gefüllt wie selten in seiner bislang siebenjährigen Amtszeit. Fast eine Woche bereiste der umtriebige Präsident Israel, die palästinensischen Gebiete und Syrien. Zuvor war er in Mexiko und Haiti unterwegs und im Mai soll es in den Iran gehen. Keine Frage, ein halbes Jahr vor den wichtigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Brasilien hat Lula da Silva eine Mission: Es geht um sein politisches Erbe. In Brasilia wird emsig eine neue Aufgabe für den populären Staatschef gesucht.


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Besonders verlockend scheint der Posten des UN-Generalsekretärs. Immer wieder in den vergangenen Wochen kritisierte Lula da Silva die Vereinten Nationen als zu passiv in den Krisenherden der Welt. "Die Vereinten Nationen sind die einzigen, die Frieden schaffen können", verkündete der ehemalige Gewerkschaftsführer in Ramallah und fügte hinzu: "Brasilien kann einen wichtigen Beitrag leisten."

Hinter den Kulissen werden schon seit einiger Zeit die Möglichkeiten für das höchste UN-Amt ausgelotet. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy war der erste, der im September vergangenen Jahres beim G-20-Treffen in Pittsburgh einen öffentlichen Vorstoß in diese Richtung machte. Schon jetzt werden die UN-Ambitionen des "weltweit populärsten Staatsoberhauptes" (Barack Obama) in den brasilianischen Medien eifrig diskutiert. Ein offizielles Dementi gibt es aus dem Präsidentenpalast Planalto nicht. Lula da Silva habe ein großes Interesse an internationalen Fragestellungen und eine Leidenschaft für Afrika, war die knappe Antwort von Regierungssprecher Marco Aurélio Garcia zu den Spekulationen. Die Amtszeit von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon endet offiziell Ende 2011.

Potenzielle Nachfolgerin hat schweren Stand

Doch auch im eigenen Land muss Lula da Silva um sein Erbe kämpfen. In Umfragen liegt die Präsidentschaftskandidatin der Arbeiterpartei PT (Partido dos trabalhadores) und enge Lula-Vertraute, Dilma Rousseff, neun Prozentpunkte hinter ihrem konservativen Konkurrenten, dem Gouverneur von São Paulo, José Serra, zurück. Sechs Monate vor der Stimmabgabe müssen alle Kandidaten laut Verfassung ihre politischen Ämter niederlegen. So auch Rousseff, die als gestrenge Kanzleramtschefin dem Präsidenten den Rücken frei hielt. Insgesamt zehn Minister der Regierung haben inzwischen ihren Rücktritt erklärt, um meist auf Landesebene um das Gouverneursamt zu kämpfen.

Durch Korruptionsfälle und innerparteiliche Streitigkeiten hat Lulas Arbeiterpartei in den vergangenen Regierungsjahren viel an Sympathie bei den Wählern eingebüßt. Die einst so selbstverständliche Allianz mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen hat Risse bekommen. Eine versprochene Agrarreform ist ausgeblieben, Investitionen in das Schul- und Gesundheitssystem wurden immer wieder verschoben. Außerdem hat die Regierung erst unlängst die Zulassung für den Bau des weltweit drittgrößten Wasserkraftwerkes Belo Monte am Amazonas-Nebenfluss Xingu erteilt. Mindestens 40.0000 Menschen müssen umsiedeln. Zu den schärfsten Kritikern des Projektes gehört die Landlosenbewegung MST, die einen sozialen Kollaps befürchtet.

Selbst die Gewerkschaften, einst die engsten Verbündeten der PT, wollen sich nicht festlegen, ob sie im Wahlkampf Rousseff unterstützen. Einige von ihnen raten ihren Mitgliedern zu einem "voto nulo", dem Ungültigmachen des Wahlzettels.

Die Wahlkampfstrategen der PT sind sich durchaus der Gefahr dieser Entwicklung bewusst. Sie setzen deshalb auf eine Angstkampagne und verkünden, die Opposition wolle alle staatlichen Sozialprogramme der Regierung wieder rückgängig machen, insbesondere das Vorzeigeprojekt "bolsa familia".

Größte Wählerbasis im armen Nordosten

Mehr als 45 Millionen Menschen, fast ein Viertel aller Brasilianer, profitieren von den staatlichen Zuwendungen von bis zu 80 Euro monatlich für eine Familie. Die meisten von ihnen leben im Nordosten des Landes, dem Armenhaus Brasiliens. Hier hat auch Lula da Silva seine familiären Wurzeln, dort konnte er regelmäßig seine besten Wahlergebnisse einfahren. So will auch Rousseff, die als Technokratin mit wenig Charisma und detailverliebte Fachfrau gilt, vor allem im Nordosten um Wählerstimmen werben.

Im Gepäck hat sie viele soziale Versprechen. Dafür sollen die erwarteten Milliardengewinne aus der Erdölförderung eingesetzt werden. Rousseff verspricht einen starken Staat, ist gegen weitere Privatisierungen und will die Inflation bekämpfen. Das kommt gut an bei den Massen.

Der Politologe von der Staatlichen Universität São Paulo, André Singer, erklärt die Popularität des Präsidenten im Nordosten mit dem Phänomen des "Lulismo". Die traditionelle Basis der PT sei die Klasse der Arbeiter in den Industriezentren und die untere Mittelklasse gewesen, sagt er. Das habe sich jetzt geändert. "Die Basis des Lulismo bildet die Klasse mit dem geringsten Einkommen", sagt Singer, der auch Sprecher der Regierung Lula da Silva war. Diese Menschen hätten hauptsächlich von den Sozialprogrammen der Regierung profitiert und identifizierten ihren sozialen Aufstieg mit der Person Lula da Silva.

Mindestlohn wurderegelmäßig erhöht

Die von Kritikern belächelte "bolsa familia" ist aber auch eine Investition in die Kaufkraft der Massen und hat nicht unerheblich zu einer Stabilisierung des Binnenmarktes beigetragen.

"Die Stärke des heimischen Marktes und eine antizyklische Wirtschaftspolitik haben unser Land gerettet", betont Lula da Silva immer wieder. Gerade der Konsum der unteren Klasse habe die Wirtschaft in der Finanzkrise am Laufen gehalten. Erst Anfang 2010 erhöhte die Regierung wieder den Mindestlohn, der jetzt bei 510 Reais (196 Euro) monatlich liegt.

Auch dank dieser Politik hat Brasilien die weltweite Finanzkrise besser überstanden als viele andere Länder und ist jetzt schon wieder auf Wachstumskurs. Dem Vorwurf einer konservativen Wirtschaftspolitik begegnet Brasiliens abtretender Präsident gern mit einem Verweis auf die 80er Jahre, als die Inflation 80 Prozent betrug.

"Unter der Inflation leidet vor allem der ärmste Teil der Bevölkerung. Das habe ich nie vergessen", sagt er dann.