Dilma Rousseff ab 1. Jänner Präsidentin. | Lula: UN-Chef kein Thema mehr. | São Paulo. Vor sechs Monaten gehörte die Favela Complexo Alemão im Norden von Rio de Janeiro noch zu den gefährlichsten Armenvierteln der Stadt. Mit einem spektakulären Kampfeinsatz vertrieben Polizei und Militär Ende November Dealer und Kriminelle. Jetzt soll das Armenviertel mit seinen mehr als 80.000 Bewohnern Rios Vorzeigeviertel werden. Eines der teuersten Projekte ist der Bau einer Seilbahn, die die weitverzweigten 13 Favelas des Complexo Alemão miteinander verbinden soll. Das Projekt wird aus dem staatlichen Investitionsprogramm PAC finanziert.
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Als erster Passagier stieg der scheidende Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in eine Gondel und ging auf Probefahrt. "Ich werde immer ein Mann des Volkes sein, einer von Euch", rief er den Hunderten Bewohnern zu, die sich am Weg versammelt hatten. Es war sein letzter offizieller Besuch als Präsident in Rio de Janeiro vor der Amtsübergabe an seine Nachfolgerin Dilma Rousseff am Neujahrstag. Viele Brasilianer können sich schwer vorstellen, dass der Vollblutpolitiker Lula da Silva wirklich von der politischen Bildfläche verschwindet. So wird auch viel über die Zukunft des mit Abstand beliebtesten Präsidenten des Landes spekuliert. Lula da Silva selbst beantwortet solche Fragen vage. Er wolle "noch viel in Brasilien herumreisen" und werde seine Fußballschuhe noch lange nicht an den Nagel hängen, sagte der 65-Jährige jüngst.
Lula erhält eigenesInstitut und Museum
Spekulationen über Ambitionen, das Amt des UN-Generalsekretärs zu übernehmen, hat Lula da Silva vom Tisch gewischt. Seine Zukunft sieht der scheidende Präsident vor allem in Afrika. Er will Infrastrukturprojekte anschieben und weiter den politischen Dialog mit den dort Regierenden suchen. Als Plattform dient ihm das "Institut Lula", welches gerade in São Paulo aufgebaut wird.
Damit will Lula da Silva auch Kritik vorbeugen, dass er sich in die Arbeit seiner Nachfolgerin Dilma einmischt. "Ein Ex-Präsident muss sich an einen ruhigen Ort zurückziehen und die neue Regierung agieren und ihre Fehler machen lassen", sagte er in einem Interview.
Das "Institut Lula" soll zugleich ein "Museum Lula" werden, in dem einige der rund 1,5 Millionen Geschenke ausgestellt werden, die der Präsident während seiner achtjährigen Amtszeit erhalten hat.
Dazu zählen 355.000 Briefe, 8000 Bilder, 9027 Bücher, zahlreiche Fußball-Shirts und Fußbälle, eine Werkbank für den gelernten Metallarbeiter und zwei Küchenmaschinen, die die First Lady Marisa Leticia bekommen hat. Insgesamt elf Lkw wurden allein für den Transport der Geschenke aus Brasília nach São Paulo geordert.
Die Bilanz der Regierung Lula da Silva fällt durchaus positiv aus und lässt auch Kritiker verstummen. Brasilien ist in den vergangenen acht Jahren zum Global Player aufgestiegen und herausragender Exponent der Bric-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China). Die Wirtschaft ist auf beständigem Wachstumskurs. Das Jahr 2010 wird mit einem Wachstum von 7,0 Prozent abgeschlossen und für 2011 werden 4,5 Prozent vorausgesagt.
Bekämpfung der Armut stand im Mittelpunkt
Der größte Erfolg der Regierung Lula da Silva ist unbestritten die Verringerung der Armut, die bei Amtsantritt 2002 noch bei 26,6 Prozent lag und jetzt auf 15,5 Prozent gesunken ist. Damit hat sich die Lebenssituation für etwa 20 Millionen Menschen nachhaltig verbessert. Mit der "bolsa família" wurde zudem ein umfangreiches Sozialprogramm eingeführt, von dem 47 Millionen Menschen und damit fast ein Viertel der Bevölkerung profitieren. Außerdem sind zehn Millionen neue Arbeitsplätze in den vergangenen acht Jahren entstanden. Der Mindestlohn wurde verdoppelt und beträgt jetzt 510 Reais (231 Euro).
Die Verehrung von Lula da Silva vor allem durch die ärmere ländliche Bevölkerung habe religiöse Züge, sagt der Politikwissenschafter André Singer, der auch Regierungssprecher unter Lula da Silva war. Dieses Bild sei entstanden, weil die Beseitigung der Armut erstmals im Mittelpunkt der Regierungsarbeit gestanden sei und somit diese Menschen von der Regierung Lula am meisten profitiert hätten.
Doch bei all den positiven Kennziffern gibt es auch Wermutstropfen. So zählt Brasilien trotz dieser Erfolge zu den weltweit zehn Ländern mit der größten sozialen Ungleichheit. "Das zeigt, dass der Kampf gegen Armut weit oben auf der Agenda der künftigen Präsidentin stehen muss", mahnt der Chefökonom der Getulio-Vargas-Stiftung, Marcelo Neri.
Auf die Liste der künftigen Präsidentin gehören nach Einschätzung von Experten auch eine umfassende Steuerreform, der Abbau der ausufernden Bürokratie und eine Senkung der Staatsausgaben. Zudem ist Brasilien immer noch das Land mit dem weltweit höchsten Zinsen.