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Luton - Nährboden für Extremisten

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Europaarchiv
Im islamischen Zentrum von Luton wurde der Stockholm-Attentäter verwarnt. Foto: reu

Stockholmer Selbstmordbomber wohnte dort. | Attentäter auf Londons U-Bahnen starteten von Luton ihre tödliche Tour. | Luton. Natürlich, räumt die Stadtratsvorsitzende Hazel Simmons ein, habe die Stadt Luton, "wie alle Städte", ihre Probleme. Dennoch sei es lächerlich zu behaupten, dass die Flughafenstadt im Norden Londons "eine Brutstätte des Extremismus" darstelle.


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Das Image abzuschütteln, fällt Luton allerdings nicht leicht. Erst vor wenigen Tagen hat der einflussreiche "Daily Telegraph", das Leibblatt britischer Konservativer, die Stadt "mit ihrer springlebendigen asiatischen Bevölkerung" als eine solche Brutstätte angeprangert, die nach Rasse und Religion gespalten sei und jede Menge religiösen Extremismus produziere.

Im kleinen Fremdenverkehrsamt in der Stadtbücherei von Luton rauft man sich die Haare. Statt spendierfreudige Touristen, die Luton dringend brauchen könnte, zieht die Bezirkshauptstadt der Grafschaft Bedfordshire Berichterstatter und Fernsehteams aus aller Welt an, die hinter den grauen Fassaden der Stadt ein Unwesen beträchtlichen Ausmaßes wittern. Eine örtliche Talkshow im Radio wollte von ihren Hörern wissen: "Jagt Luton Ihnen eigentlich Angst ein?" Anlass für diese Frage war die Nachricht, dass der in Stockholm ums Leben gekommene Jihadist und Selbstmordbomber Taimour Al-Abdaly zehn Jahre in Luton lebte, bevor er jüngst nach Schweden zurückkehrte.

Die ehemaligen Nachbarn Abdalys, in Lutons Argyll Road, können noch immer nicht glauben, dass der junge Familienvater aus ihrer Mitte derselbe Mann war, den man in Schweden jetzt als den Urheber einer Bomben-Aktion identifizierte. Farasat Latif, der Sekretär der örtlichen Moschee, hat Abdaly als äußerst freundlichen Menschen in Erinnerung. Latif erinnert sich freilich auch daran, dass der gebürtige Iraker eines Tages im Islamischen Zentrum in Luton durch Predigen extremistischer Ideen auffiel. Er habe Rache gefordert für all die Zivilisten, die im Irak und in Afghanistan von westlichen Truppen getötet wurden - und seinem jüngsten Sohn den Namen Osama gegeben.

Radikalisierung an der Universität

Der Vorsitzende des Zentrums, Qadeer Baksh, knöpfte sich Abdaly damals persönlich vor. Taimour Abdaly stürmte nach der Zurechtweisung wütend aus der Moschee und schloss sich in der Folge der Islamischen Gesellschaft an der Universität von Bedfordshire an. Hier, im steinernen Herzen Lutons, hatte er zwischen 2001 und 2004 Sporttherapie studiert. Hier soll auch seine Radikalisierung günstigen Nährboden gefunden haben - was die Universität entschieden bestreitet.

In der Tat nimmt sich die kleine, rot bemalte Uni wie ein recht entspannter Sammelplatz junger Menschen und Meinungen aus. Ein Grüppchen Studenten in der Café-Bar, mehrere davon pakistanischer Herkunft, wehrt sich gegen Verdächtigungen und Pauschalisierung, zeigt aber keine Sympathien für Gewalttätigkeit irgendwelcher Art. Drüben über der Straße, in der Mall, drängen sich derweil verschleierte Asiatinnen, Lutoner afro-karibischer Herkunft und die weißen Stammhalter der Stadt am River Lea in gemeinsamer Weihnachtspanik in der "Poundland"-Filiale, wo alles nur ein Pfund kostet.

Ein Drittel der Bevölkerung Lutons ist dunkler Hautfarbe. Etwa die Hälfte davon sind Moslem-Familien, überwiegend pakistanischer Herkunft. Angezogen hatte die Einwanderer aus dem Osten, was vor ihnen schon irische und schottische Migranten nach Luton brachte: Die größte Autofabrikationsstätte des Königreichs, die zu ihren Glanzzeiten einmal 30.000 Menschen beschäftigte.

Heute sitzt die Vauxhall-Geschäftsführung noch immer in Luton, aber nur noch ein paar Nutzfahrzeuge und Kleinlaster werden auf dem gigantischen Werksgelände produziert.

Wie die alte Hut-Manufaktur der Stadt ist auch die örtliche Automobilindustrie auf den Hund gekommen. Job-Mangel, Frustration, das Gefühl, als Kommune wenig Zukunft zu haben, sind in Luton schon seit Jahren zu spüren.

Mangelnde Integration von Zuzüglern

Dass unter solchen Umständen Versäumnisse der Vergangenheit, und insbesondere die mangelnde Integration von Zuzüglern, einen unheilvollen Effekt haben mussten, ist für Kenner der Stadt keine Überraschung. Seine alte Schule, die zu seiner Schulzeit noch eine multikulturelle Anstalt gewesen sei, werde mittlerweile zu 96 Prozent von Asiaten besucht, berichtet der Autor Sarfraz Manzoor: "In solchen Blasen zu leben, ob in weißen oder in moslemischen, führt leicht zu Ignoranz, die dann in Intoleranz umschlagen kann."

Vauxhall, klagt auch der hiesige Labour-Abgeordnete Gavin Shuker, habe noch einen gewissen Gemeinschaftsgeist unter den verschiedenen Teilen der Bevölkerung gefördert. Nun, da dieses Bindemittel sich aufgelöst habe, sei auch der kommunale Zusammenhalt gefährdet. Douglas Murray, Direktor des Londoner Zentrums für Sozialen Zusammenhalt, hat vor kurzem schon eine recht pessimistische Einschätzung zu Luton abgegeben. Luton sei ein äußerst gespaltener Ort, urteilte Murray. "Es ist als Stadt geteilt, und die moslemischen Gebiete sind extrem islamifiziert."

Die militante Moslem-Gruppe Al-Muhajiroun war in Luton stationiert, bevor sie nach London zog und später verboten wurde. Ein Mitglied des sogenannten Dünger-Bomben-Komplotts, das einen Londoner Nachtklub oder wahlweise ein Einkaufszentrum in die Luft sprengen wollte, kam aus Luton. Auch die Mordaktion der Selbstmordbomber des 7. Juli 2005 startete von Luton aus. Das Quartett junger britischer Jihadisten tötete 56 Menschen in London und verletzte mehr als 700.

Weiße Rassisten provozieren

Verhängnisvoll wirkte sich im März vorigen Jahres die Parade eines englischen Regiments durch die Stadt aus, das von der irakischen Front nach Hause zurück gekehrt war. Ihr Zorn über den "Triumphmarsch" der "Babykiller" und "Kriegsverbrecher" trieb ein paar Dutzend moslemische Demonstranten auf die Straße, von denen fünf später wegen bedrohlicher Äußerungen verurteilt wurden. Örtliche Anti-Islamisten und Fußball-Hooligans nahmen die allgemeine Empörung über diese Demonstration zum Anlass für die Gründung einer Kampforganisation, die unter dem Namen "Englische Verteidigungsliga" firmiert und Politikern landesweit Kopfzerbrechen bereitet. Die Liga lud auch den US-Prediger und vor kurzem prominent gewordenen Koran-Hasser Terry Jones für kommenden Februar nach Luton ein - wiewohl sie von dieser Einladung inzwischen nichts mehr wissen will.

Mit Selbstmordbombern und englischen Rassisten assoziiert, muss sich Luton nach Ansicht der Extremismus-Forscherin Lucy James in der Tat vorwerfen lassen, "eine Brutstätte extremistischer Ansichten" zu sein. James, die für den Think-Tank Quilliam arbeitet, sieht das Problem vor allem darin, "dass diese beiden extremistischen Ideologien sich gegenseitig eindeutig befruchten".

Trotzig hängt dieser Tage wieder aus vielen Fenstern in den Reihenhaus-Siedlungen der Stadt die England-Fahne, das rote Kreuz des drachentötenden Heiligen Georg. Einzelne Moscheen der Stadt haben sich vorsichtshalber eingegittert.