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Luxus für Lesegourmets

Von Alexander Kluy

Reflexionen
Die Salto-Reihe des Wagenbach Verlags zählt zu den schönsten Buchreihen – aufwändig von Hand gemacht: rotes Leinen, fadengeheftet, aufgeklebtes Schildchen
© Wagenbach Verlag

Das sorgfältig ausgestattete und schön anzusehende Buch erfährt in Zeiten der E-Book-Reader eine Renaissance,


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Seit Oktober 2013 zählt die deutsche Sprache ein neues Wort in ihren Lexikonspalten. Es lautet: "Nobelpreisausstattung". Mit diesem Begriff bewarb die Zürcher Verlegerin Sabine Dörlemann die Ausstattung zweier Ausgaben von Alice Munro, der wenige Tage zuvor in Stockholm mit dem Nobelpreis für Literatur gekürten kanadischen Autorin. Munro-Erzählbände hatte der Dörlemann Verlag einige Zeit im Programm. Diese wurden nun auf Grund der Erhebung in den Literaturparnass extra und extra rasch nachgedruckt.

Elegante Anmutung

Aber Nobelpreisausstattung? Was ist das nur? Etwas Schwedisches? Dahinter verbirgt sich - ein festes Buch. Gebunden in Leinen, im Fall des Dörlemann Verlags handelt es sich um Iris-Leinen, dazu Fadenheftung, Lesebändchen, obendrein eine sorgfältig ausgeführte, nicht ausfransende oder grob ausbrechende Prägung auf dem Rücken und auf der Rückseite, und ein von Hand auf der Vorderseite aufgeklebtes Bild.

Mit anderen Worten: eine Ausstattung, die man von diesem Verlag seit Anbeginn kennt - und die bis heute dessen Erkennungsmerkmal ist. Bücher dieser Verlegerin nimmt man gerne in die Hand. Wegen der eleganten Anmutung, wegen des Hand schmeichelnden Formats. Wegen des Willens zum sichtbar schön und unübersehbar sorgfältig gestalteten Buch.

Zukunftsfragen ans Buch: Installation im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck. Foto: Schmickl

Das "Kunststück-Buch" ist der natürliche Gegensatz zum E-Book- Reader. Dessen Display zeigt zwar mittlerweile Schrift in guter Kon-trastschärfe und mit akzeptabler Auflösung an. Doch typografisch hinken Kindle, Kobo, Tolino und wie sie sonst noch heißen ästhetisch hinterher. Vor allem einen Makel hat die E-Ink-Technik: das latent strapaziöse Lesen. Ist doch der Hintergrund der schwarzen Schrift, deren Variationsbreite an offerierter Auswahl zudem schmerzhaft limitiert ist, in der Regel weiß oder hellgrau. Beides ermüdet die Augenmuskulatur auf die Dauer vorzeitig und rascher als eine Printbuchseite.

Deshalb hat auch der Berliner Verleger Heinrich von Berenberg sich bei seinen mehr als ansprechend ausgestatteten, in Halbleinen gekleideten Büchern für ein gelbliches, somit Augen schonendes Papier entschieden. Dazu kommt ein Format, bei dem auf jeder Seite rings um den Text viel Raum bleibt.

Gleiches gilt für den Frankfurter Verleger Klaus Schöffling, der mittlerweile bei den Büchern, die er in seinem großkonzernfernen Verlag herausbringt, jüngst etwa im Falle des Geschichtenbandes "Buch gegen das Verschwinden" der Autorin Ulrike Almut Sandig, ebenfalls Papier mit dezidiertem Gelbstich verwendet - ein leises, entschiedenes Argument gegen das Verschwinden des Buches als Objekt, das man anfassen, fühlen, riechen kann, das buchstäblich raumgreifend ist und das nicht nur ein Datensatz mit Hyperlinks ist.

Pionier Franz Greno

Alle diese jüngsten Bestrebungen, dem physischen Buchkörper ein schönes Kleid zu schneidern, innen wie außen, die eigenen Produkte abzuheben von durchschnittlicher Industriedruckware, gesetzt in der immer selben Schrifttype, gedruckt auf weißes Papier und billig klebegebunden, gehen im deutschsprachigen Raum auf Franz Greno zurück, den Gestalter der Reihe "Die Andere Bibliothek". Diese Edition hatte er sich in den frühen 1980er Jahren einfallen lassen, angelehnt an ein Vorbild aus Großbritan-nien, die bibliophile The Folio Society, die im London des Jahres 1947, mitten in Zeiten anhaltender Lebensmittelrationierung also, gegründet worden war und bis heute auf außergewöhnlich ausgestattete Weltliteratur setzt.

Kommt mit einer besonders schönen Innenausstattung auf den Markt: "Das Kopfkissenbuch" von Sei Shonagun, das im Oktober im Manesse Verlag erscheinen wird.Foto: Manesse

Greno, in den Siebziger Jahren Drucker des Zweitausendeins Verlags, gewann als Programmmacher und Lektor Hans Magnus Enzensberger, der zuvor immer wieder als Advokat für das schöne Buch aufgetreten war (was sein Stammverlag Suhrkamp ignorierte). Greno hatte als sein eigener Unternehmer allerdings wenig Fortüne. 2011 sicherte sich der Berliner Aufbau Verlag diese Reihe aus der Insolvenzmasse des Eichborn Verlags.

Das zweite Leitbild vom Buch als haptisches Gesamtkunstwerk ist die in rotes Leinen gekleidete Salto-Reihe des Hauses Wagenbach, der seit mehr als 50 Jahren ein Privatverlag ist. Im Herbst 2013 erschien der 200. Salto-Band, der ironische Titel lautete "Lob der Schulden". Noch ironischer war allerdings, dass wenige Monate später ausgerechnet der schön gedruckte Salto-Band über den Drucker Aldo Manutius, der im Venedig der Renaissance einige der schönsten Bücher in Personalunion, wie damals üblich, verlegt, gedruckt und verkauft hatte, wegen Plagiatsvorwürfen aus dem Verkehr gezogen werden musste.

Die Berliner Verlegerin Katharina Wagenbach-Wolff, geschiedene Verlegerfrau und Enkelin eines Buchhändlers, der bis 1917 die größte und wichtigste deutsche Buchhandlung in St. Petersburg besaß, spendierte vor einigen Jahren einem Buch aus ihrer Friedenauer Presse gar einen Goldschnitt.

Hierzulande hat der Innsbrucker Haymon Verlag mit dem Illustrator und Zeichner Christian Thannhäuser Bibliophiles vorgelegt, hat der Czernin Verlag eine bemerkenswert schöne Edition der Fluchtaufzeichnungen der Wiener Salonière Bertha Zuckerkandl präsentiert. Und der ohnehin für seine mit außergewöhnlichem Gusto ausgestatteten Kochbücher bekannte Mandelbaum Verlag aus Wien ist vor kurzem noch einen Schritt der Schönheit weitergegangen. Der Verleger Michael Baiculescu hat sich erfolgreich ins Terrain der Künstlerbücher gewagt, die ja, worauf der Stuttgarter Sammler Wolf von Lucius aufmerksam macht (aus dessen Buchkunst-Kollektion noch bis 30. August im Kunstmuseum Stuttgart eine schöne Auswahl zu sehen ist), zwischen der Welt der Bibliotheken und der Museen ohne unmittelbare Zuständigkeit flottieren.

Künstlerbücher ("Künstlerfabrikate" nennt der Mandelbaum Verlag seine diesbezügliche Reihe) sind limitiert, nummeriert, von Hand signiert und ein Teil der Auflage ist für Sammler sogar mit Originalgraphiken versehen. Kurzum: nicht kopierbar. Nicht löschbar. Nicht batterie- und auch nicht sonnenstandabhängig. Komplett werbefrei. Und stets und überall kompatibel. Und auch noch in 20, 40, 60 Jahren les-, aufschlag- und blätterbar, wenn die aktuelle Generation von E-Books und E-Book-Readern technologisch Dinosaurierstatus haben und nur noch ein Fall für einen Saal im Technikmuseum sein wird. Und darin dann einem Informations- und Textträger gleicht, den die Älteren den heute Jüngeren erst einmal beschreiben müssen, oft vergeblich - die Diskette.

Ornamental geprägt

Den Willen zur Distinktion und die auf die Anmut von Inhalt und Korpus des Buches setzende Reaktion wider einen gesättigten Massenmarkt und ein sich änderndes Leseverhalten besitzen selbst Verlage, die zu Großkonzernen gehören. So gönnte sich etwa der Manesse Verlag im Herbst 2014 ein Buchkunststück, als er die Erstübersetzung von "101 Nacht" (aus dem Arabischen ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums) in ornamental geprägten dunkelroten Samt schlagen und das Innere dazu zweifarbig und farblich abgestimmt drucken ließ.

Ähnliches wird in einigen Monaten im selben Verlag dem "Kopfkissenbuch" der um das Jahr 1000 lebenden japanischen Hofdame Sei Shonagon beschert: nicht nur eine erstmals vollständige Edition und Neuübersetzung, sondern ein Leinenband, bei dessen Prägung Gold verwendet wird und eine mit den Schmuckmotiven im Außen korrespondierende Typografie im Inneren, in mehreren Farben auf Satinpapier gedruckt. Auflage: 500. Spezialplus: Der Band wird in eine extra angefertigte Schmuckschatulle eingelegt. Luxus für Lesegourmets.

Frederik Forssman, der Buchdesigner aus Kassel, der seit 25 Jahren sämtliche Druckprodukte der Arno-Schmidt-Stiftung betreut und zehn Jahre lang den Giganten-Typoskriptroman "Zettel’s Traum" des deutschen literarischen Außenseiters und grammatikalischen Anarchisten Arno Schmidt erstgesetzt hat, sodass er nicht nur als fotografisches Reprint des Manuskripts gedruckt werden konnte, sondern in angenehmer und angenehm lesbarer Form, tritt mit Verve und Eloquenz für das gedruckte Buch ein: "Nach meiner Erfahrung bringt nur das echte, unsimulierte Buch die kostbare Chance zu tiefem Lesen mit."

Damit erweist er auch seinem Lehrer Hans-Peter Willberg Reverenz, Autor eines Standardwerks über Lesetypografie. Willberg meinte, dass das Buch ein durch und durch sinnliches Ding sei. Gedacht und gemacht zum händischen Berühren, Anfassen, Umblättern, Spüren und Fühlen. Bei frisch ausgepackten Büchern riecht man ja manchmal sogar noch ein sehr spezielles Aroma in der Falz.

Das E-Book sei praktisch? Das Lesen von Büchern auf dem Tablet oder mittels spezieller Reader einfach? Und man spare so viel Gewicht (beim Reisen) und so viel Platz zu Hause? Darauf antwortet Forssman sicht- und hörbar engagiert, vor allem aber eloquent: "Mein Bücherregal ist ein Abbild dessen, was ich gelesen habe und was ich noch lesen möchte, es ist ein vergnüglich durchstöberbares Archiv, in dem auch thematisch passende Grafiken, Fotos und Schneekugeln Platz haben und durch das ich für diejenigen, die ich in meine Wohnung lasse, erkennbar bin, was mir recht ist, für diejenigen, die leider draußen bleiben müssen, aber anonym bin, was mir noch lieber ist. Das E-Book dreht dieses Verhältnis um."

Forssmann geht dann noch einen Schritt weiter, weil E-Books ja dem, der sie liest - juridisch gesehen - gar nicht gehören, sondern der "User" lediglich eine Lizenz erwirbt - ein elementarer Streitpunkt mit den öffentlichen Büchereien. Und weil mittlerweile ja bekannt ist, dass vor allem die Lesegeräte der großen, als Quasi-Monopolisten auftretenden Unternehmen für die E-Book-Vertreiber "durchsichtig" sind. Willkommen in der Neuen Schönen Werbewelt von Big Data!

Vorteile auf Papier

Bis wohin man in einem Buch kommt, wo man besonders langsam, also aufmerksam liest, wer welche E-Books früher gelesen hat, das alles wird ausgespäht. Forssman: "Sodann bietet ein Buch hochwillkommene intuitive Orientierung. Wie dick es ist, wie man vorankommt, das sieht und spürt man im Papierbuch, der Reader kann höchstens alberne Simulationen liefern. Und Bücher liegen so schön herum und bereit: Man kann sie sich in den Weg legen, man kann einen Stapel neben dem Bett haben, drei im Wohnzimmer und ein Bücherbord auf der Toilette, man kann in jedem Jackett ein Reclamheft stecken haben. Beim Arbeiten kann man so viele Bücher an so vielen Stellen aufgeschlagen herumliegen haben, wie der Schreibtisch beziehungsweise der Fußboden groß ist, und Lesezeichen muss man nicht verwalten (unter den Augen von Big Data), sondern man steckt sie einfach dorthin, wo man möchte."

Die Herstellerin Renate Stefan, unter deren betreuender Aufsicht die außergewöhnlich abwechslungsreich gestalteten Bände der "Anderen Bibliothek" einige Zeit entstanden sind (siehe Porträt nebenan, auf Seite 35, Anm.), sekundiert. "Ein Buch," sagt sie, "im Gegensatz zu den immer mehr den Markt beherrschenden E-Books nicht einfach nur auf ein Gerät zu laden, es stattdessen in einer Buchhandlung in den Händen zu halten, zu drehen, die Seiten zu öffnen, das Papier zu riechen, sich in das Objekt in der Hand zu verlieben und es mit nach Hause zu nehmen, ist - zumindest für wahre Buchliebhaber - ein Glücksgefühl."

In der Reihe "Ästhetik des Buches", die im Wallstein Verlag in Göttingen herauskommt, der auf eine schöne Erscheinungsweise seiner Bücher ebenfalls großen Wert legt, werden viele Plädoyers fürs Gedruckte gehalten: Da schreibt der Heidelberger Philologe Roland Reuß über die Ergonomie des gedruckten Buches, der Typografieprofessor Hans Andree über Schrift und Schriften, und der Kunstbuchverleger und Hochschullehrer Günter Karl Bose widmet sich der Materialität des Buches: Staub auf Büchern erzählt ja im Umkehrschluss auch ganze Romane über ungelesene Romane! Das Erfassen eines Buchinhalts vollzieht sich durch das buchstäbliche Erfassen, also das Anfassen einfach stärker und anregender. Wertigkeit wertet Leseglück auf.

Man muss freilich, was das Bücher-Glück angeht, nicht so weit gehen wie so manche Sammler von Gedrucktem, die in Nicholas Basbanes’ Büchern "A Gentle Madness" und "Patience & Forti-tude" fröhliche Urstände feiern. Basbanes erzählt von Buchliebhabern, die ihre Zuneigung zum gedruckten schönen, seltenen, außergewöhnlichen Buch bis ins Extrem steigerten. Von Amerikanern, die Monate lang Europa nach Büchern durchjagten und für den anschließenden Transport ein eigenes Schiff anmieteten. Oder von einem Engländer, der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ein rares Buch mit mehreren Ampullen seines Blutes abgelten wollte.

Wer wird eines Tages über seinen E-Book-Großvater so schreiben können, wie das Sasha Abramsky in "Das Haus der zwanzigtausend Bücher" macht (das Buch erscheint im Oktober 2015 bei dtv) über den seinen tat. Chimen Abramsky presste in ein kleines Haus 20.000 gedruckte Bücher derart hinein, dass es keinen Quadratmeter ohne doppelt aufgestellte Erstausgaben, Wiegendrucke und alte Bücher gab - und somit ohne Erkenntnis und lebenslanges Lernen. Und gibt es bei E-Books das, worüber der deutsche Bibliothekar Eric Steinhauer so kundig schaurig schreibt: Bibliotheksmumien, Bibliotheksvampire, Büchergrüfte? Die digitalen Pendants sind dagegen von widrig Profanem geplagt, wie etwa vom allseits bekannten ghosting (wenn Buchstaben oder Bilder "weiterglimmen").

Alexander Kluy ist Journalist, Kritiker, Autor und lebt in München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu literatur-, kunst- und kulturhistorischen Themen.