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Luxusquartiere statt leistbarem Wohnen

Von Alexander Dworzak aus Mailand

Politik
Blick vom Mailänder Dom zu den Türmen in "Porta Nuova" (l.). Dort wurden im "Bosco Verticale" 20.000 Pflanzen eingesetzt (o. M.). Im Quartier "City Life" gibt es gar einen Golf-Abschlagplatz (u. M.). Auch hier dominieren Bürotürme und Luxuswohnungen (r.).

Während in Italien die Wohnungspreise landesweit am Boden liegen, boomt Mailand.


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Mailand. Betongold bleibt in der Eurozone groß in Mode. Dank der niedrigen Zinsen investieren viele Bürger in die eigenen vier Wände oder Renditeobjekte, dazu kommen institutionelle Anleger. Um vier Prozent legte der Hauspreisindex alleine im ersten Quartal 2017 zu. An der Spitze liegt Litauen, dort sind die Preise für Wohnungen, Einfamilien- oder Reihenhäuser im Vergleich zum Vorjahresquartal um zehn Prozent in die Höhe geschnellt, während Österreich mit 4,8 Prozent knapp über dem Schnitt liegt. Lediglich in zwei der 19 Eurozonen-Staaten sanken laut der EU-Statistikbehörde Eurostat die Preise: in Kroatien und in Italien.

Plus 130.000 Einwohner

Im Gegensatz zum landesweiten Trend boomt Mailand. Nachdem sie mit der Abwanderung der Industrie über Jahrzehnte an Bürgern verloren hatte, erfand sich die lombardische Metropole als Finanz- und Dienstleistungszentrum neu. Vom Höchststand 1971 mit mehr als 1,7 Millionen Einwohnern ging es bis auf 1,2 Millionen Personen im Jahr 2011 bergab. Aber innerhalb von nur fünf Jahren stieg die Einwohnerzahl bis Ende 2016 um knapp 130.000 Personen. Die Weltausstellung Expo im Jahr 2015 sorgte dabei für einen zusätzlichen Schub. Doch leistbarer Wohnraum ist Mangelware, die Preise für private Mietwohnungen unterliegen in Italien keinerlei Regulierungen.

Lange brachliegende Quartiere und Industriegebiete in Zentrumsnähe mutieren derweil zu Filetstücken institutioneller Investoren. Auf dem Gelände der alten Messe, keine vier Kilometer nördlich des berühmten Doms, entsteht "City Life". Drei Bürotürme bilden das Zentrum, dort ist unter anderem der Versicherungsriese Allianz einquartiert. Im November wird ein Shoppingcenter eröffnet, das 100 Geschäfte beherbergen soll. Die Entwicklungsgesellschaft, eine Tochter des Versicherers Generali, greift zur besseren Vermarktung auf große Architektennamen zurück. Daniel Libeskind, Schöpfer des Jüdischen Museums in Berlin, und die zwischenzeitlich verstorbene Zaha Hadid - sie hatte in Österreich etwa mit dem Neubau des Innsbrucker Bergisel-Stadions Bekanntheit erlangt - sorgten für die Entwürfe von Luxuswohnungen am Rande des Areals. "Die Preise dafür liegen um 10.000 Euro pro Quadratmeter", erzählt die Architektin Katia Accossato. Sogar ein Golf-Abschlagplatz wurde errichtet - rund zehn Meter unter Straßenniveau, was auf kreative Nutzung eines doch nicht genutzten Bauteiles für Luxuswohnungen hindeutet.

360.000 Quadratmeter umfasst das Areal von "City Life", das entspricht der Fläche von 52 Fußballfeldern. Zwar schreibt Mailands Flächennutzungsplan vor, dass bei der Umwidmung von mehr als 15.000 Quadratmetern in Bauland die Hälfte der Fläche für sozialen Wohnbau vorgesehen ist. Davon ist bei "City Life" jedoch weit und breit nichts zu sehen. Dafür habe sich die Projektgesellschaft laut Accossato verpflichtet, die Errichtung der U-Bahn-Linie 5 mitzufinanzieren, die auch das neue Viertel erschließt. Die Frage der "Wiener Zeitung" nach der Höhe des Kostenbeitrags beantwortet Franco Zinna von der Mailänder Stadtplanung allerdings nicht.

Boom nach Euro-Einführung

Noch immer laboriert Italien schwer an den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Mit 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - Österreich hält bei 85 Prozent - hat es nach Griechenland die zweithöchste Staatsschuldenquote in der gesamten EU. Und die zersplitterte Bankenlandschaft mit ihren fast 700 Instituten hat weiterhin massenweise faule Kredite von Privaten in ihren Büchern. Mitverantwortlich dafür ist der Immobilienhype nach Einführung des Euro 2002. In den Folgejahren stiegen die Wohnungspreise im Schnitt acht Prozent per annum. Günstige Konditionen und ein deregulierter Markt für Kredite verleiteten im Nachbarland zum Kauf. Mittlerweile besitzen knapp drei Viertel der Italiener ihre Wohnung oder ihr Haus, während es in Österreich 58 Prozent sind. Die privaten Schulden überragen die öffentlichen nunmehr deutlich, sie sind gemäß Daten der OECD in den vergangenen 20 Jahren von 120 auf nunmehr 176 Prozent des BIP gestiegen.

In "Porta Nuova" wird derweil emsig weitergebaut. Auch Mailands zweites Leuchtturmprojekt steht ganz im Zeichen institutioneller Investoren. 2015 kaufte das Emirat Katar die Betreibergesellschaft des Stadtentwicklungsgebiets. Über den Preis wurde Stillschweigen vereinbart, der Marktwert des 340.000-Quadratmeter-Areals in bester Lage wurde damals auf zwei Milliarden Euro taxiert. In "Porta Nuova" findet sich ebenfalls der Mix aus Bürotürmen - die Bank-Austria-Mutter UniCredit hat dort seit 2012 ihre Zentrale - und Wohnungen für Betuchte. In den zwei Türmen des "Bosco Verticale" kostet eine Bleibe zwischen 8000 und 12.000 Euro pro Quadratmeter. Der Bau sorgte international für Furore, denn er nahm den Trend zur Begrünung von Wohnbauten vorweg. Die Balkone beherbergen riesige Tröge, in die 20.000 Pflanzen eingesetzt wurden. Wesentlich langsamer als der Bau von Büros und Wohnungen verlief dagegen die Errichtung des kommunalen Parks "Bibliothek der Bäume" auf dem Gelände. Erst im März dieses Jahres wurde der erste Abschnitt den Bürgern übergeben.

Besonders für die Mittelschicht ist die Wohnungssuche in Mailand schwierig. Während in Wien 41 Prozent der Wohnungen entweder von der Stadt oder gemeinnützigen Bauträgern gehalten werden und diese Klientel abfangen, sind es in Mailand nur zwölf Prozent. Einerseits sind die Mieten auf dem freien Markt für die Mittelschicht unerschwinglich, andererseits verdient sie zu viel, um eine kommunale Sozialwohnung in Mailand zu erhalten. Denn für diese gilt ein maximales Haushaltseinkommen von 35.000 Euro brutto im Jahr. Entsprechend niedrig sind die verlangten Mieten, sie reichen von 20 bis 200 Euro monatlich exklusive Betriebskosten, sagt Corrado Bina von der städtischen U-Bahngesellschaft Metropolitana Milanese, welche die 30.000 kommunalen Wohnungen bewirtschaftet.

Junge bleiben bei den Eltern

Zwar gibt es Initiativen wie die Fondazione Housing Sociale (FHS), die private Gelder lukriert, und mit den Regionen kooperiert. 20.000 Wohnungen konnten so in ganz Italien gebaut werden, sagt Giordana Ferri von der FHS. Doch gemessen am Bedarf ist das viel zu wenig, sowohl in Mailand als auch im gesamten Land. Gerade Jungen bleibt oft nur eine unfreiwillige Bleibe: Landesweit leben rund zwei Drittel der 18- bis 34-Jährigen bei den Eltern.

Redaktioneller Hinweis:

Die Reise erfolgte auf Einladung des Vereins für Wohnbauförderung.