Vor den französischen Parlamentswahlen im Juni formiert sich das linke Lager, um eine Mehrheit zu erhalten.
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Dem linken Lager in Frankreich ist bei den Parlamentswahlen im Juni etwas gelungen, das vor der Präsidentschaftswahl Ende April gescheitert war: Absprachen zu finden, um gemeinsam als Bündnis anzutreten und damit die eigenen Gewinnchancen insgesamt zu erhöhen. Traten bei der Präsidentschaftswahl noch ein halbes Dutzend Kandidatinnen und Kandidaten aus dem linken Spektrum an, so fanden die vergangenen Tage intensive Gespräche zwischen den verschiedenen Parteien statt, um sich auf eine Linie zu einigen. Und interessierten sich die Medien und die französische Öffentlichkeit monatelang nur vergleichsweise wenig für die zersplitterten Linken, so bestimmen diese derzeit die Schlagzeilen. Allein das kann schon als Erfolg gewertet werden.
Verhandlungsführer als stärkste Kraft ist die Linkspartei "Das unbeugsame Frankreich" von Jean-Luc Mélenchon, der bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 22 Prozent erreicht und damit nur knapp die Stichwahl verpasst hat. Nachdem bereits Absprachen mit der Grünen-Partei "Europa-Ökologie - Die Grünen" und den Kommunisten erfolgreich zu Ende gebracht wurden, kam am Mittwoch eine "prinzipielle Einigung" mit der Sozialistischen Partei zustande, welche deren Vertreter bald absegnen sollen.
Sorge um Identität
Sozialistische Schwergewichte wie der ehemalige Premierminister Bernard Cazeneuve und Ex-Präsident François Hollande warnten allerdings vor dem Ende der Traditionspartei, sollte sie sich den EU-skeptischen "Unbeugsamen" unterordnen - und somit einen wichtigen Teil ihrer proeuropäischen Identität aufgeben. Auch die sozialistische Präsidentschaftskandidatin, die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die nur 1,75 Prozent erreichte, hatte sich gegen ein Bündnis ausgesprochen, ebenso wie der grüne Kandidat Yannick Jadot. Mit 4,6 Prozent lag auch er unter den eigenen Erwartungen.
Bei den Gesprächen ging es zum einen um die Einigung auf ein gemeinsames Programm trotz deutlicher inhaltlicher Unterschiede vor allem hinsichtlich der EU-Politik. Zum anderen drehten sie sich um die Aufteilung der Wahlkreise, um zu vermeiden, dass diverse linke Kandidatinnen und Kandidaten einander Konkurrenz machen.
Das französische Mehrheitswahlrecht benachteiligt kleine Parteien, die in der ersten Runde mindestens 12,5 Prozent der Stimmen brauchen, um sich für die zweite zu qualifizieren. Nun hofft Mélenchon, insgesamt eine linke Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung hinter sich zu bekommen und die Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.
"Machen Sie mich zum Premierminister!", appellierte der 70-jährige Linkspopulist seit der Präsidentschaftswahl an die Franzosen. Denn das Lager, das zur stärksten Kraft im Unterhaus des Parlaments wird, stellt den Regierungschef. Diesen kann der Präsident nur auswählen, wenn es sich um seine eigene Partei und deren Verbündete handelt - daran arbeitet Emmanuel Macron, dessen Bewegung "La République en marche" derzeit ebenfalls Absprachen mit potenziellen Alliierten trifft. Der Premierminister und das Kabinett, das er in der kommenden Woche einsetzt, bleiben vorerst nur provisorisch bis zu den Parlamentswahlen im Amt.
Eine historische Einigung
Ob es ihm dann nochmals gelingt, eine eigene Mehrheit zu bekommen, ist unsicher. Im gegenteiligen Fall müsste Macron sich auf eine sogenannte "Kohabitation" mit einem oppositionellen Lager einlassen. Gesetzesprojekte wie eine Pensionsreform, die Macron im Wahlkampf angekündigt hat, könnte er dann nicht mehr so leicht umsetzen. In den vergangenen Jahrzehnten war eine solche Zusammenarbeit an der Staatsspitze allerdings selten, zuletzt gab es sie von 1997 bis 2002 unter Präsident Jacques Chirac. "Bei der Parlamentswahl profitieren die Präsidenten von einer Art Legitimierung durch ihre Anhängerschaft und von der Entmutigung der Wähler, deren Kandidaten verloren haben", erklärt der Politologe Olivier Rouquan. Zwar wünscht sich derzeit eine Mehrheit laut Umfragen, dass der Präsident zu Absprachen mit seiner Regierung und dem Parlament gezwungen werden soll. "Aber das war auch im Jahr 2017 der Fall", sagt Rouquan. Dennoch erreichte Macron damals mit seiner noch jungen Partei mehr als 289 der 544 Sitze, die notwendig für eine Mehrheit sind.
Die Einigung zwischen den radikalen Linken, den Grünen, den Kommunisten und Sozialisten sehen Beobachter als historisch an. "Eine Absprache erschien unwahrscheinlich angesichts der großen Unterschiede zwischen den Kandidaten und der rauen Töne, die während des Präsidentschaftswahlkampfs herrschten", sagt der Politologe Rémi Lefebvre. Neu sei auch, dass sich mit Mélenchons Partei die dominante Kraft nicht im Zentrum des linken Lagers befinde, sondern am extremen Rand. Die Vereinbarung der "neuen ökologischen und sozialen Volksunion" sieht ausdrücklich vor, dass der langjährige Bewunderer des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs die Schuld bei der Nato sah, im Fall eines Sieges Premierminister werden soll.
"Ungehorsam" gegen EU
Neben den Forderungen, den Mindestlohn auf 1.400 Euro pro Monat zu erhöhen und das Pensionseintrittsalter von 62 auf 60 Jahren zu senken sowie die Preise für Produkte des täglichen Grundbedarfs zu decken, ist die Rede von "Ungehorsam" gegenüber "gewissen europäischen Regeln" wie der gemeinsamen Agrar- und Wettbewerbspolitik oder dem Stabilitätspakt. Die französischen Grünen betonen weiterhin, dass ein Austritt Frankreichs aus der EU oder Euro-Zone keinesfalls das Ziel sei.
Ein starkes Ergebnis bei den Parlamentswahlen im Juni ist für die Parteien auch aus finanziellen Gründen bedeutsam. Denn davon hängen die staatlichen Zuschüsse ab, mit denen diese rechnen können.