Schauspielerin Elisabeth Orth erzählt von den Anfängen ihrer Karriere und erklärt, warum sie die aktuelle Situation in Europa für so gefährlich hält.
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"Wiener Zeitung": Frau Orth, da unser Gespräch in Ihrer Künstlergarderobe stattfindet, muss ich an Ihren Sohn Cornelius Obonya denken, der zuletzt in einem Interview gemeint hat, er kenne jeden Winkel dieses Raumes, weil er hier in seiner Kindheit viel Zeit verbracht hatte. Es klang fast danach, als wäre er im Burgtheater aufgewachsen. . .Elisabeth Orth: Das kann man sagen. Er ist sehr oft vom Schottengymnasium herüber gekommen und hat hier seine Hausaufgaben gemacht während er auf mich gewartet hat. Mein Mann (Hanns Obonya, Anm.) lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr und ich war alleinerziehende Mutter. Das Theater war auch der einzige Treffpunkt, um gemeinsam nach Hause zu fahren. Bei uns in der Familie gibt es den Satz: Wenn wir das Theater nicht hätten, würden wir uns überhaupt nie sehen.
Warum waren Sie anfangs strikt dagegen, dass Ihr Sohn ebenfalls den Schauspielberuf ergreifen möchte?
Cornelius äußerte diesen Wunsch noch vor Schulabschluss. Ich hatte mir fest vorgenommen, was immer kommen möge, die Schule muss fertig gemacht werden. Das hat bei ihm allerdings überhaupt nichts geholfen. Er war wie ein Panzer, ich hätte ihn gar nicht aufhalten können, er wollte zum Theater - und so war es dann auch. Ich habe durch Zufall erfahren, dass er die Prüfung wunderbar geschafft hat.
Sie wussten gar nicht, dass er sich für die Aufnahmeprüfung am Reinhardt-Seminar angemeldet hatte?
Er sprach davon, dass er es im Herbst versuchen möchte - letztlich machte er die Prüfung aber bereits im Frühjahr. Von 123 Prüflingen kamen fünf durch, drei Mädchen und zwei Burschen. Als er es geschafft hatte, kam er zu mir, aber seine Freunde wussten es viel früher als ich.
Auch die beiden Söhne Ihrer Schwestern Christiane und Maresa Hörbiger haben beruflich mit dem Theater zu tun. Diese Verbundenheit mit dem Theater könnte man in Ihrer Familie schon als schicksalshaft bezeichnen. . .
Das sieht so aus. Natürlich könnte es auch furchtbar daneben gehen. Familienzugehörigkeit alleine bringt gar nichts, man muss schon von einem gewissen Glück und Talent begünstigt sein.
War es für Sie persönlich eher Segen oder Fluch, in eine so prominente Schauspielerfamilie hinein geboren worden zu sein? Ihre Eltern Paula Wessely und Attila Hörbiger wurden von der Öffentlichkeit ja mit den abenteuerlichsten Namen bedacht. Man sprach vom "Königspaar des Burgtheaters" bis hin zu "Familie Österreich".
Ja, Wahnsinn! Da war ich immer schon dagegen. Und um ehrlich zu sein, ist das auch nicht besonders intelligent. Was heißt das, Familie Österreich? Mein Vater ist in Ungarn geboren, gut, dann wäre als Argument vielleicht die Monarchie gekommen. Tatsache ist, dass all das furchtbar belastend war und mir den Anfang vergällt hat. Ich konnte diesen Beruf nicht frei und unbelastet ergreifen. Deswegen wollte ich auch so schnell als möglich raus aus Wien. Ich habe gebetet, dass mich meine Engagements Richtung Deutschland führen. Und zu meinem Glück, muss ich sagen, hat das auch geklappt.
War es Teil Ihrer Strategie, den Mädchennamen Ihrer Großmutter als Künstlernamen anzunehmen?
Ja, ich wollte nicht noch mehr Hörbigers in die Welt setzen. Ich sprach darüber mit meiner Mutter und wir kamen beide auf den Mädchennamen ihrer Mutter. Und dabei blieb es.
1967 sind Sie im Rahmen einer Theatertournee gemeinsam mit Ihren Eltern auf der Bühne gestanden - in der O’Neill-Familiensaga "Fast ein Poet".
Ja, das war das einzige Mal, dass wir zu dritt waren, das fanden wir auch legitim, weil wir auch im Stück eine Familie gespielt haben. Wie haben Sie diese Tournee in Erinnerung behalten?
Sehr schön. Es war eine Tournee durch Deutschland und die Schweiz, und sie ist mir auch deshalb in besonderer Erinnerung, weil ich damals meinen Mann kennen gelernt habe. Deswegen heißt mein Sohn übrigens auch Cornelius, weil mein Vater in dem Stück Cornelius Melody hieß. Als mein Mann und ich beschlossen, dass wir ein Kind haben möchten, haben wir gesagt, wenn es ein Bub wird, dann ist der Name klar: Cornelius.
Dass Sie nochmals mit Ihren Eltern in einem Stück spielen, war nach dieser Tournee nie mehr ein Thema?
Nein. 1965 debütierte ich am Burgtheater zusammen mit meinem Vater in "Kabale und Liebe". Abgesehen von diesen zwei Stücken ergab sich nie wieder eine gemeinsame Konstellation - und wurde von uns dreien auch nicht angestrebt.
Wann hatten Sie für sich persönlich das Gefühl, dass Sie nicht mehr gegen den Ruhm Ihrer Eltern anspielen müssen und Ihren eigenen künstlerischen Weg gehen?
Als ich am Bayerischen Staatsschauspiel in München zu arbeiten begann, hatte ich sehr bald das Gefühl, dass ich jetzt mein eigener "Menschwerdungsherr" bin in diesem Beruf, was ein langer Weg ist. Aber das begann in Deutschland. Nach meinem Debüt am Burgtheater wurde mir zwar ein toller Vertrag angeboten, aber ich fühlte mich damals noch nicht reif für dieses Haus und ging zurück nach München, wo ich das Glück hatte, mit Hans Lietzau zu arbeiten. Dort habe ich auch bald verstanden, dass wir Österreicher eine gebundene Sprache haben, die schön klingt, aber in Deutschland muss man den Gedanken aus dem Satz herausholen. Dort war Theater einen Schuss direkter und kühler.
Den österreichischen Charme mussten Sie sich also zuerst einmal abgewöhnen?
Den hatte ich gar nicht, charmant war ich, glaube ich, eher nie. Es war viel mehr die Direktheit der Sprache und die Lust am Denken, die ich in Deutschland auf gute Weise lernen konnte.
Sie zählen auch zur Elite jener Schauspielerinnen, die einen Dichter zu einem Werk inspiriert haben. Der Lyriker und Theaterautor Albert Ostermaier schrieb für Sie das Einpersonen-Stück "Nach den Klippen", das 2005 in der Inszenierung von Andrea Breth am Akademietheater realisiert wurde. Wie kam es ursprünglich dazu?
Ich kannte Albert Ostermaier über das Burgtheater, über An-drea Breth und aus meiner Zeit in Berlin. Ich weiß nicht, wann er auf diese Idee kam, es war nicht meine. Eines Tages sagte er, ich habe ein Stück für Dich, ich habe es dezidiert für Dich geschrieben. Es ging darin um eine alt gewordene mythologische Zauberin und es war für mich ein großer Reiz, den Gedanken und Erinnerungen dieser Figur nachzuarbeiten und nachzufühlen. Ich habe dieses Stück sehr gerne gespielt.
Abseits des Theaters sind Sie ein Mensch, der klare Position und Stellung bezieht. Sie setzen sich seit vielen Jahren aktiv gegen die Diskriminierung von Minderheiten ein und sind Präsidentin der "Aktion gegen Antisemitismus in Österreich". Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis, dass Sie sich speziell für dieses Thema engagieren?
Das passierte auch in Deutschland. Als ich als junge Frau nach München kam, lernte ich eine zauberhafte jüdische Regieassistentin kennen, die meinte, um Himmels Willen, du weißt ja gar nichts! Tatsächlich hatte ich auch sehr wenig Ahnung über die Hintergründe des Dritten Reiches. Wenn ich mich recht erinnere, kamen wir in der Schule im Geschichtsunterricht kaum über die Zeit von Kaiser Franz Joseph hinaus. Ich hatte Nachholbedarf und habe alles verschlungen, was es zu diesem Thema zu erfahren gab. Wirklich politisiert wurde ich dann unter Willy Brandt. Zu dieser Zeit organisierten wir auch Lesungen gegen den Vietnamkrieg und mussten hierfür einen Raum in einem Keller auftreiben, weil es "oben" verboten war.
Haben Sie die "Aktion gegen Antisemitismus in Österreich" gegründet?
Nein, die Aktion ist bereits 1945 gegründet worden. Erika Weinzierl (Historikerin, gest. 28. Oktober 2014, Anm.) war lange Zeit Präsidentin und hat mich wegen Arbeitsüberlastung gebeten, diese Funktion zu übernehmen. Ich hatte zuerst Bedenken, ob sich das mit dem Schauspielberuf vereinbaren lässt und habe zu ihr gesagt: Du weißt, mein Beruf ist meschugge! Aber sie meinte, das macht nichts, bitte übernimm es - und das habe ich dann getan.
Was macht die "Aktion gegen Antisemitismus in Österreich" konkret?
Viel zu wenig. Aber wir sind in der glücklichen Situation, unter dem Dach des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands zu sein und bekommen von dieser Seite große Unterstützung im Aufspüren von antisemitischen Überfällen und Gemeinheiten oder wenn verbale Entgleisungen der einschlägigen Parteien stattgefunden haben.
Sie befassen sich also eher mit der Situation im Hier und Jetzt als mit der Vergangenheit?
Das verbindet sich immer wieder, weil man ja auch die Menschen, die wenig bis gar nichts zu diesem Thema wissen, über die Hintergründe informieren muss. Damit es nicht wieder kommt, muss man wissen, woher es kommt. Und das ist eine Aufgabe dieser Aktion. Man muss Stellung beziehen und sollte an bestimmten Orten präsent sein. Diese Haltung so in sich zu bewahren, dass man sie weitergeben kann, ist sicher eine Lebensaufgabe.
Ihr Sohn ist sozial ebenfalls sehr engagiert.
Das meinte ich gerade mit weitergeben, aber er ist auch selbstständig auf der richtigen Spur.
Möchten Sie Ihre Einschätzung äußeren, wie Sie das momentane Klima hinsichtlich antisemitischer Tendenzen empfinden?
Es geht nicht nur um Antisemitismus. Die Überschrift lautet: Es ist ungemütlich geworden in Europa. Machen wir uns nichts vor: Wir haben Krieg. Die Ukraine befindet sich im Kriegszustand, vom Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern ganz zu schweigen. Das ist eine ungelöste schwelende Wunde, wo niemand abschätzen kann, wohin das führt. Aber es melden sich bereits Israelis zu Wort, die sagen, so geht es nicht weiter. Zum Beispiel der offene Brief von israelischen Ex-Generälen an Netanjahu. Sie fordern von der Regierung einen neuen Anlauf zur Beilegung des Nahost-Konflikts und sagen, wir haben dafür gekämpft, dass unsere Kinder nicht in den Krieg ziehen und jetzt ziehen unsere Kinder in den Krieg. Bitte ändert die Politik!
Beim Thema Krieg muss man unweigerlich an Karl Kraus’ "Die letzten Tage der Menschheit" denken. Im Anschluss an unser Gespräch steht dieses Stück unter Ihrer Mitwirkung am Spielplan. Wie aktuell ist Ihrer Ansicht nach dieser Text, der ursprünglich als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg verfasst wurde?
Ich kann nur sagen: hoch aktuell. Es gibt Sätze, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Gleichzeitig hat man den Eindruck, dass alles, was je gegen den Krieg geschrieben, getan oder gearbeitet wurde, der Menschheit bei einem Ohr hinein und beim anderen hinausgegangen sein muss. Trotz aller Erfahrungen aus der Vergangenheit scheint Krieg immer noch eine Lösung zu sein. Aber Krieg ist nie eine Lösung. Er macht nur neue Abgründe auf und das Zuschütten ist dann sehr mühsam und dauert über Generationen. Ich träume von einem noch mehr vereinten Europa, als das jetzt der Fall ist. Ich habe keine Lust, meinem Enkel einen Kriegszustand zu vererben. Wirklich nicht.
Nehmen wir "Die letzten Tage der Menschheit" als Beispiel. Gibt es Theaterabende, an denen Sie nach der Vorstellung das Gefühl haben, heute ist etwas beim Publikum angekommen?
Ja, das zeigt sich schon allein darin, dass manche Menschen das Buch noch einmal zur Hand nehmen, weil ihnen gar nicht bewusst war, welche Sätze dieses Stück gegen den Krieg beinhaltet. Allein das ist schon positiv.
Sie gehen sehr reflektiert mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung um. War es Ihnen je möglich, sich den Nazi-Propagandafilm "Heimkehr" mit analytischer Distanz anzusehen? Darin spielte Ihre Mutter Paula Wessely die Hauptrolle, und Ihr Vater wirkte ebenfalls mit.
Natürlich. Ich habe mir diesen Film mit einer Freundin angesehen. Hinterher war mir so schlecht, dass ich gesagt habe: Ich brauche einen Schnaps. Was meine Mutter in diesem Film zeigt, ist Schauspielkunst Nummer 1, nur im falschen Eck, zum falschen Thema.
Sie waren fünf Jahre alt, als dieser Film im Jahr 1941 gedreht wurde. Wann haben Sie ihn letztendlich das erste Mal gesehen?
Erst Mitte der 1980er Jahre.
Haben Sie je mit Ihren Eltern über "Heimkehr" sprechen können?
Ganz wenig. Und ich muss ehrlich sagen, ich wollte es auch nicht. Meine Bildungsreise durch diese Themen hat in Deutschland stattgefunden und ich wollte im Wissensstand nicht zurückfallen. Ich wollte mein Wissen selbst verarbeiten und nicht im Diskurs mit Verwandten, die wahrscheinlich eine Entschuldigung und Beschönigung hätten finden müssen. Das wollte ich mir erst gar nicht antun und dachte mir: Da bin ich weiter, schon allein auf Grund meines Geburtsjahres. Niemand von uns weiß, was wir getan hätten, wenn diese Situation auf uns zugekommen wäre. Diese Fragen muss man sich einfach immer wieder vor Augen führen: Was hätten wir getan? Wären wir in den Untergrund gegangen?
Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, ist freie Journalistin, Autorin und Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur "Lineaart".
Zur Person
Elisabeth Orth, 1936 in Wien geboren, ist die älteste Tochter von Paula Wessely und Attila Hörbiger. Nach der Absolvierung ihre Ausbildung am Max Reinhardt Seminar folgten erste Engagements am Wiener Volkstheater sowie am Theater der Courage in Wien. Danach ging sie nach Deutschland und arbeitete zunächst am Ulmer Theater, dann in Bad Hersfeld und in Köln. Von 1964 bis 1968 folgte ein Engagement am Bayerischen Staatsschauspiel. Ab 1969 spielte sie im Ensemble des Wiener Burgtheaters. In den Jahren 1995 bis 1999 war sie an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin engagiert. Seit 1999 ist Elisabeth Orth wieder am Burgtheater tätig.
Bei den Salzburger Festspielen war sie u.a. Gabriele Wegrat in Schnitzlers "Der einsame Weg" (1987), Frau Wahl in Schnitzlers "Das weite Land" (2002) und Gräfin Bork in Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" (2012). Neben ihren Theaterengagements konnte man sie bis heute in zahlreichen Film- und Fernsehrollen erleben.
Kammerschauspielerin Elisabeth Orth erhielt u.a. 1965 den Bayerischen Staatsschauspielpreis, 1981 die Kainz-Medaille und ist Trägerin des Grillparzer-Rings. Sie ist Präsidentin der "Aktion gegen Antisemitismus in Österreich". 2006 wurde ihr das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen. 2009 erhielt sie das Bundes-Ehrenzeichen für Toleranz und Menschenrechte. Im Oktober 2014 wurde Elisabeth Orth zum Ehrenmitglied des Burgtheaters ernannt.
Gemeinsam mit Hanns Obonya (1922-1978) hat sie einen Sohn, den Schauspieler Cornelius Obonya. Aktuell ist Elisabeth Orth am Burgtheater in "Die letzten Tage der Menschheit", "Hamlet" und "Prinz Friedrich von Homburg" zu sehen.