Nordkoreas Staatskasse könnte bald leer sein, weshalb der Reformdruck steigt.
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Pjöngjang/Wien. "Gefährlich, unberechenbar, gewaltbereit und selbstherrlich." So würde sich der Charakter von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un nach Gesprächen mit seinen ehemaligen Klassenkameraden darstellen, sagte der ehemalige US-Staatssekretär für die Ostasien- und Pazifikregion, Kurt Campbell, dem Sender CNN. Kim hatte seine Schulzeit teilweise in einem Schweizer Internat verbracht.
Seit genau zwei Jahren, seit dem Tod seines Vaters und Amtsvorgängers Kim Jong-il, führt der ehemalige Internatszögling eine abgeschottete und unberechenbare Diktatur. Und seitdem suchen Diplomaten eine Antwort darauf, wie sie Kim einschätzen sollen. Was aber im Kopf des Mannes, der als Sprössling einer gottgleichen verehrten Herrscherdynastie aufwuchs, tatsächlich vorgeht - wie rational oder irrational er handelt, wie brutal er ist -, kann wohl niemand genau sagen. Betrachtet werden können aber seine Handlungen an der Staatsspitze. Daraus lässt sich eine erste Bilanz ziehen, wie Kim die ersten zwei Jahre seiner Herrschaft gestaltet hat.
"Kim hat die alte Elite durch eine neue ausgetauscht"
Offenbar ging es dem jungen Diktator - er ist etwa 30 Jahre alt, sein genaues Alter ist aber unbekannt - zunächst vor allem darum, seine Machtposition zu stärken. "Dabei hat er die alte Elite durch seine eigene neue ausgetauscht", sagt Rüdiger Frank, der dem Institut für Ostasienwissenschaften an der Univerität Wien vorsteht, der "Wiener Zeitung".
Das zeigt sich etwa bei öffentlichen Anlässen. So hat Nordkorea gestern, Dienstag, dem zweiten Todestag des verstorbenen Herrschers Kim Jong-il gedacht. Während Soldaten in Pjöngjang Blumen niederlegten, zeigte das Staatsfernsehen Bilder von Kim Jong-un und Spitzenvertretern aus Militär, Partei und Regierung bei einem Besuch im Mumsusan-Mausoleum. Dort sind Kim Jong-uns Vater Kim Jong-il und sein Großvater, der Staatsgründer Kim Il-sung, aufgebahrt.
Blickt man nun darauf, welche Kader noch vor zwei Jahren hinter dem Sarg von Kim Jong-il herliefen, so sind viele von ihnen verschwunden. Man weiß nicht, ob sie wie Jang Song-thaek, der Onkel von Kim Jong-un, kurzerhand exekutiert oder lediglich aus den Machtzirkeln entfernt wurden.
Klar scheint aber, dass der innere Widerstand gegen diese Säuberungen bisher ausgeblieben ist. Das zeige, dass es Kim Jong-un gelungen ist, seine Macht zu konsolidieren, sagt Frank. "Das muss nicht so bleiben, aber im Augenblick muss man feststellen, dass er das in den letzten zwei Jahren erreicht hat."
Neue Wohnungen und ein Delfinarium in Pjöngjang
Demselben Zweck diente laut Frank auch das Auftreten Kims auf der internationalen Bühne. Er bediente sich dabei einer brachialen Rhetorik, und Nordkorea hat unter seiner Herrschaft bereits zwei Langstreckenraketentests und einen Atomwaffentest durchgeführt. Damit hat Kim die Nachbarländer und die USA vor den Kopf gestoßen. Der junge Diktator will sich auch gar nicht beliebt machen, sondern er will sich Respekt verschaffen, sagt Frank.
Gleichzeitig musste Kim aber auch vor seinem eigenen Volk seinen Herrschaftsanspruch rechtfertigen, erklärt der Nordkorea-Experte. "Er ist ja nicht gewählt worden, deshalb muss er der Bevölkerung klarmachen, warum er der am besten geeignete und der einzige Führer sein soll." Sein Stammbaum sei ihm dabei hilfreich, reiche aber allein nicht aus. Kaum war er an der Macht, bediente sich Kim daher einer "Politik von Brot und Spielen", analysiert Frank. "Er hat seine Legitimität gestärkt, indem er der Bevölkerung Geschenke gemacht hat."
Kim hat dabei viel Geld ausgegeben. Am anschaulichsten zeigt sich das am Delfinarium in Pjöngjang, für das eine etwa 90 Kilometer lange Leitung vom Meer aus in die Hauptstadt verlegt wurde, damit Salzwasser nach Pjöngjang gelangt. Aber auch große Wohnbauprojekte und ein zusätzliches Schuljahr kosten dem Staat Geld.
Fraglich ist aber, wie lange Nordkorea noch genügend Mittel zur Verfügung hat. Denn international werden Pjöngjang keine großen Kredite gewährt. "Will der Staat also viel Geld ausgeben, dann funktioniert das in Nordkorea nur über die vorhandenen Reserven", erklärt Frank. "Aber die sind irgendwann einmal aufgebraucht." Damit steige der Druck auf Kim, Wirtschaftsreformen durchzuführen, um mehr Einnahmen zu schaffen.
Voraussetzung für Reformen wären nicht so schlecht
Nun, nachdem Kim seine Macht gestärkt hat, wären die Voraussetzungen dafür wohl gar nicht so schlecht. Wie weit er aber bereit ist, bei seiner Wirtschaftspolitik umzuschwenken, ist jedoch eine Frage, die derzeit niemand beantworten kann. Denn auch wenn sich viele Handlungen von Kim in der Rückschau erklären lassen - was er in der Zukunft vorhat, bleibt unberechenbar.