Graben zwischen Wissen und Verständnis. | Hochleistungsrechner antwortet schneller, aber nicht kreativ. | Sieg "in erster Linie ein Erfolg für den Hersteller". | New York/Wien. "Watson" triumphiert über die Menschheit. Der Supercomputer von IBM hat am Mittwoch Abend im US-Fernsehquiz "Jeopardy" seine menschlichen Gegner, die Quiz-Genies Ken Jennings und Brad Rutter, in der dritten Runde des Wettstreits vernichtend geschlagen.
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"Watson" antwortete zwar ein paar Mal falsch, drückte seinen Roboterarm aber insgesamt schneller aufs Knöpfchen und hatte die richtigen Fakten parat. Schwach war er beim Thema EU: Etwa wusste er nicht, dass Slowenien ein Mitglied ist. Wäre er keine Maschine, könnte er sich jetzt über eine Million Dollar (740.000 Euro) Preisgeld freuen.
Doch der Wettbewerb zwischen Computer und Mensch macht sich mehr aus wie ein Contest der Disziplinen: Auf der einen Seite stehen jene Menschen, die im TV-Quiz möglichst schnell auf den Knopf drücken und auf der anderen die Entwickler des Systems "Watson". Die geistige Vorherrschaft hat der Mensch mit dem Zimmer-großen Stück Fortschritt aber noch lange nicht abgegeben.
Zwar geht der US-Futurologe Ray Kurzweil davon aus, dass Maschinen in absehbarer Zeit die Menschen übertreffen werden. Allein wegen des Verfalls des Körpers habe die Technik alle Trümpfe in der Hand: Sie können laut Kurzweil künftig Körperteile, inklusive der Funktionen des Gehirns, ersetzen und uns sogar ermöglichen, ewig zu leben.
"Watson" ist noch nicht derart brillant. Jedoch verfügt er über eine bei Computern noch nie da gewesene Fähigkeit. Er kann die menschliche Sprache erstmals zerlegen und analysieren.
"Jeopardy" stellt seine Kandidaten vor eine besondere Herausforderung: Zu einer Antwort müssen die Spieler die entsprechende Frage formulieren. (Das erzwingt einen gedanklichen Zwischenschritt im Spiel.) Dabei sind Wortspiele und Hintersinn gefragt. Etwa: "Bunte Fetzen davon sind oft nach dem Weihnachtsfest verstreut." Die korrekte Antwort: "Was ist Geschenkpapier?" Der Mensch beantwortet solche Fragen unter anderem mit Hilfe des assoziativen Gedächtnisses, das ihn an Episoden und Fakten erinnert, die zusammen Sinn ergeben. Wer bei "Jeopardy" gewinnt, hat sich darauf trainiert sich zunächst breit zu erinnern und erst später die Möglichkeiten einzuschränken.
Computer können das assoziative Gedächtnis des Menschen bestenfalls simulieren. Um die richtige Antwort zu finden, muss "Watson" die Begriffe nicht verstehen, sondern sie bloß erkennen und richtig zuordnen. Er durchforstet seine Wissensdatenbank mit über 200 Millionen Seiten und sondiert: Welche Begriffe kommen zusammen mit Weihnachten vor, welche mit bunt, und wo überlappen sie?
Intelligenz entsteht im Körper
Was bedeutet "Watsons" Sieg? "In erster Linie ist es ein Erfolg für IBM", sagt Robert Trappl, Direktor des Österreichischen Forschungsinstituts für künstliche Intelligenz. Der Supercomputer könne zwar enorm schnell rechnen. Davon, einer Maschine Bewusstsein zu geben, sei die Wissenschaft jedoch noch weit entfernt - auch, weil noch nicht alle Funktionen des Gehirns verstanden seien. Trappl fürchtet "keineswegs", dass Roboter in absehbarer Zeit die Weltherrschaft übernehmen. (Die "Wiener Zeitung" berichtete.)
"Der Essenz des menschlichen Sprachvermögens kommen wir damit nicht näher", betont auch der Saarbrückener Computerforscher Hans Uszkoreit im Magazin "Der Spiegel". Als etwa Kandidat Jennings die Genese von Kreuzworträtseln im falschen Jahrzehnt platzierte, wiederholte "Watson" einfach des Menschen Fehler. Zum komplexen Feedbacksystem, einer der Grundbausteine menschlichen Lernens, hat der Computer keinen Zugang. Noch nicht. "Watson" ist darauf programmiert, aus seinen Fehlern zu lernen. Ob er je den Graben zwischen Wissen und Verständnis überbrücken wird, muss sich weisen. Denn, wie Trappl betont: "Intelligenz entsteht auch durch sehen oder berühren, also durch den Körper." Große, vielfältige und komplexe Aufgaben erledigt nach wie vor der Mensch.