Bilder vom Krieg in Syrien schockieren seit Jahren Abermillionen. Konsequenzen folgen nur, wenn Politiker dazu bereit sind.
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Wien. Omran weiß nicht, wie ihm geschieht. Gerade haben Helfer den Fünfjährigen aus den Trümmern geborgen und zu einem Rettungswagen gebracht. Dort sitzt der völlig in Staub eingehüllte Bub mit nackten Füßen, sein Gesicht ist überströmt mit mittlerweile eingetrocknetem Blut.
Binnen Stunden gehen Bild und Video um die Welt. Der Vorfall wird zum Sinnbild für die seit Jahren in Syrien leidenden Bürger, für die Empörung über den Krieg - und für die Machtlosigkeit gegen das hunderttausendfache Sterben.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme, im August 2016, tobte die Schlacht um Aleppo. Das Regime von Bashar al-Assad kesselte den Ostteil der Oppositionshochburg ein, schnitt 300.000 Menschen von der Außenwelt ab und eroberte mit tatkräftiger Unterstützung Russlands und schiitischer Milizen die Stadt. Von diesem Ziel ließen sich der syrische Machthaber und seine Verbündeten auch nicht durch die Empörung aufhalten, die das Bild Omrans ausgelöst hatte. Gerade in den sozialen Medien ebben Aufschreie ebenso schnell ab, wie sie kommen.
Syriens Regime schuf Fakten, denen die USA nichts entgegensetzten. Nach den Desastern in Afghanistan, im Irak und in Libyen war das Letzte, was Präsident Barack Obama damals wollte, ein weitreichender Einsatz. "Obama, greif Syrien nicht an! Halte Dein Pulver für einen anderen (und wichtigeren) Tag trocken", twitterte der damalige Reality-TV-Star Donald Trump 2013. Kurz zuvor kamen bei Giftgasangriffen in Ghuta bis zu 1700 Menschen ums Leben. Jeder konnte das Elend sehen, die Medien lieferten Bilder der getöteten Kinder.
Die damaligen Opfer waren genauso "wunderschöne Babys" wie jene Toten des grausamen Giftgasangriffs, der diese Woche in der Provinz Idlib stattgefunden hatte. Diesmal aber spricht Trump von "einer sehr barbarischen Attacke". Und während er 2015 meinte, die USA könnten nicht gegen den IS und Assad kämpfen, sind plötzlich für den US-Präsidenten "jahrelange Versuche, Assads Verhalten zu ändern, gescheitert, sehr dramatisch gescheitert".
Eigene Tote unerträglich in postheroischen Gesellschaften
Das verbrecherische syrische Regime hat sich seit Jahren nicht geändert. Doch Trump hat diese Woche Willen zur Veränderung gezeigt, der über den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko und sinnlose Importzölle hinausgeht. Der Instinktpolitiker und Medienprofi hat in den Gräuelfotos dieser Woche eine Chance erkannt, eine weitergehende militärische Rolle der USA als bisher zu rechtfertigen.
Nur wenig berührt Menschen so sehr wie tote Kinder. In postheroischen Gesellschaften, wie der Politologe Herfried Münkler den Westen nennt, ertragen die Bürger das Leid eigener Kriegsopfer nur schwer. Das gilt auch für die USA: Als 1993 getötete US-Soldaten durch die Straßen des somalischen Mogadischu geschleift wurden, schockierten die Bilder die Öffentlichkeit. Nur zwei Tage nach dem Vorfall erklärte der damalige Präsident Bill Clinton den Abzug aller US-Soldaten aus dem Land binnen sechs Monaten.
Ähnliche Schreckensbilder können die USA in der unübersichtlichen Gemengelage an Interessen der beteiligten Staaten und Milizen in Syrien am ehesten vermeiden, solange sie sich auf Luftangriffe beschränken. Entschließt sich Trump zu Bodentruppen, ist nicht nur die Gefahr hoher Opferzahlen groß, sondern auch schockierender Bilder. Russlands Führung kann den Tod eigener Truppen viel leichter verkraften. Die meinungsbildenden TV-Sender sind gleichgeschalten. Im 140-Millionen-Land gibt es nur noch kleine Inseln objektiver Berichterstattung.
Nicht nur Fotos der Kriegshandlungen in Syrien haben Millionen bewegt. Doch an Flüchtlinge, die im Meer gerettet wurden, haben sich die Zuseher ebenso schnell gewöhnt wie an die Kriegsopfer vor Ort. Ein kleiner Lastwagen läutete im Sommer 2015 die Wende ein, abgestellt im burgenländischen Parndorf. Die zusammengepferchten 71 Opfer waren nicht zuletzt ein Signal an die Politik, wie sehr der Krieg in Syrien auch Europa betrifft. Keine Woche später wurde der dreijährige Aylan an die türkische Küste angeschwemmt. Das Foto des toten Buben erschütterte auch routinierte Politiker. Als sich zwei Tage danach tausende Flüchtlinge in Budapest gen Deutschland aufmachten, ließ sie Kanzlerin Angela Merkel gewähren. Hätte sie nach Abebben des Aylan-Aufschreis genauso gehandelt?