Immer mehr Menschen verbringen immer mehr Zeit damit, Dinge ins Netz zu stellen, die um Aufmerksamkeit buhlen und nur sekundär mit Inhalten oder Haltung zu tun haben.
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Berühmt fürs Berühmtsein - schon vor mehr als hundert Jahren findet man dieses Phänomen beim irischen Schriftsteller Oscar Wilde (1854 bis 1900): ein ästhetischer, exzentrischer Dandy, der seinen eigenen "fame"‚ anheizte und zelebrierte. Doch dass man ihn auch heute noch kennt, dürfte an seinem intellektuellen Vermächtnis wie dem Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" liegen - und weniger an den unzähligen, stilsicher inszenierten Schwarz-Weiß-Fotografien, die er damals von sich anfertigen ließ.
Das Beispiel Kim Kardashian zeigt, dass Berühmtsein sich vom Sinn entkoppelt hat. Die Vorstellung von Leistung hat sich in der modernen Starkultur stark verwässert. Selbstbemühung wurde ersetzt durch sich selbst genügende Einmaligkeit. In den Sozialen Medien feiern nicht kulturelle oder gesellschaftliche Inhalte die stärksten Reichweiten, sondern häufig öffentliche Inszenierungen stylischer, banaler Privatleben.
Im Gegensatz zu den unnahbaren Hollywood-Stars von früher vermitteln die Social-Media-Stars von heute damit folgenden Eindruck: Wir alle können es schaffen, auf diese Weise berühmt zu werden. Voraussetzung sind nicht zwingend Talent oder Leistung, sondern eine geschickte Selbstdarstellung und die Suggestion der eigenen Außerordentlichkeit. Getreu dem Motto: "Ich poste, also bin ich."
Unser Ich, das wichtigste und doch fragilste Gut, das wir besitzen, soll strahlen. Revolutionär ist nicht mehr der Steinwurf auf der Straße, sondern ein Foto ohne Filter. Doch auch dies überlässt niemand mehr dem Zufall. Jedes hochgeladene Bild ist Inszenierung, ganz sicher auch das "No filter"-Selfie. Die Fiktionalisierung des Durchschnittslebens wird damit für junge Menschen nicht selten zu einem gefühlten Zwang. Einmal süchtig, folgt die ständige Beschäftigung mit dem digitalen Ich.
Die Selbstbetrachtung wird vom Geist ins Netz verlegt. Buchverkäufe und Leserzahlen gehen weiter zurück, gleichzeitig gibt es immer mehr Autoren: nämlich die ihres eigenen Lebens im Netz. Während die traditionellen Medien an Reichweite verlieren, steigen die Nutzerzahlen auf Sozialen Plattformen exponentiell. Menschen haben daher das Gefühl, Präsenz in den Sozialen Medien sei der entscheidende Faktor, um überhaupt relevant zu sein. Wer hier nicht erwähnt wird, findet nicht statt. Ein Wikipedia-Eintrag kann zum Lebensziel werden. Am Grad des öffentlichen Interesses, der Erwähnungen im Netz, scheint sich irgendwie zu entscheiden, wer es zu etwas gebracht hat und wer nicht.
Das spiegelt der anhaltende Drang wider, sich durch Twitter-Posts oder TikTok-Videos bei Kunden, Lesern, Freunden oder Fans ständig in Erinnerung zu rufen. Eine gegenseitige Überschüttung mit Informationen von sehr zweifelhaftem Nutzwert ist die Folge. Während früher Ruhm dem Sinn folgte, führt dieser Trend heute eher zum Gegenteil: einer starken Abnahme von Sinn. Was schwindet, sind relevante Inhalte und Diskurse; was wächst, sind stylische Bilder und die klickgerechte Zuspitzung von Nachrichten.
Relevante Inhalte profitieren nicht vom Hochglanz
Immer mehr Menschen verbringen immer mehr Zeit damit, Dinge ins Netz zu stellen (bevorzugt sich selbst), die zwanghaft um Aufmerksamkeit buhlen und nur sekundär mit Inhalten oder Haltung zu tun haben: viel Lärm, viel heiße Luft und möglichst viele Klicks. Selbst belangvolle Botschaften werden mit hochgefilterten Selfies unterfüttert und damit im Grunde zum Teil der eigenen Selbstdarstellung. Denn Klicks und Follower gibt es für Hochglanz, Glamour, Skandal, Sex oder Suggestion. Relevante Inhalte profitieren nicht vom Hochglanz. Sie profitieren von Querdenkertum, unbequemen Wahrheiten und oft dröger Information. Aber diese finden auf durchgestylten Social-Media-Accounts nur schwer eine Heimat.
Das Netz hat den Ruhm demokratisiert, aber dadurch auch entwertet. Die kleine Schwester des Ruhms folgt nicht mehr der Tat, sondern der Präsenz und verliert damit Sinn. Gleichzeitig hat das Netz dem Ruhm das Mystische genommen. An die Stelle von nahezu übermenschlicher Entrücktheit ist eine banale Dauerverfügbarkeit digitaler Bilder getreten. Die Anzahl der Berühmten ist stark gewachsen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, die Trendthemen entwickeln sich ständig weiter, die Konkurrenz ist groß, der Promi-Status flüchtig. Schon angesichts dieser Flüchtigkeit erscheint Berühmtsein als ein sehr fragwürdiges Lebensziel. Die Möglichkeit, enttäuscht zu werden, ist riesengroß, ebenso wie das Unglück durch die Vergleiche mit anderen. Ähnlich wie bei Geld und Besitz gibt es im Grunde hier kein Vergleichslimit nach oben.
Aus dem Weitwinkel betrachtet lässt sich auch heute der Wunsch nach Berühmtsein mit dem antiken Wunsch nach Unsterblichkeit vergleichen - es ist der Wunsch nach Unsterblichkeit des Ichs in den Köpfen anderer Menschen. Dies jedoch nicht mehr durch Geschichten oder Dichtung, sondern durch Präsenz im Internet, das so etwas wie das kollektive Gedächtnis der Menschheit geworden ist.
Doch wer plant, durch die Spur seiner Bilder so etwas wie digitale Unsterblichkeit seines körperlichen Ichs zu erlangen, sollte folgendes bedenken: Das präsentierte, körperliche Ich ist eine Form geschauspielerter Authentizität. So real man sich auch geben mag - am Ende steckt eine Strategie dahinter, entweder sich selbst zu verkaufen oder irgendwelche Marken. Auch die "mutigen" Cellulite-Bilder einer Lena Dunham sind Teil ihrer strategischen Selbstdarstellung als Künstlerin. Authentizität wird als hehres Ziel beworben. Doch bewusst oder unbewusst ist sie ein Vermarktungstool. Als Teil der Selbstdarstellung bekommen auch Haltungen wie beispielsweise Feminismus oft den faden Geschmack von Pose. Haltung ist, was Klicks und Presse bringt.
Als Mensch geliebtund beachtet werden
Was ist nun mit der Hoffnung auf Unsterblichkeit? Man kann sich nicht unsterblich machen, indem man ein digitales Bild von sich selbst präsentiert. Was das Bewusstsein der Fans und Follower bevölkert, ist ein vages, oberflächliches Konzept unseres körperlichen Ichs. Nur Menschen, die uns nahe sind - Freunde, Familie -, kennen uns wirklich mit unseren Besonderheiten, Ängsten und Schwächen. Sie bringen uns in der Fülle unseres Seins in Existenz. Unser Ich wird Teil von ihrem, was uns in ihr Bewusstsein und damit die Welt transzendiert.
Was wohl jeder sich wünscht, ist, als Mensch geliebt und beachtet zu werden. Und so wollen auch viele Menschen, die nach Ruhm oder Berühmtheit streben, einen Platz in den Herzen ihrer Mitmenschen erobern. Möglichst für lange Zeit, vielleicht über Generationen? Doch wer schafft es wirklich dorthin? Warum erinnern wir uns an die Schauspielerin Romy Schneider (1938 bis 1982)? Warum schauen auch junge Menschen heute noch ihre Filme? Teilte sie ihre Morgenroutine auf Instagram? Was ist es, das uns so sehr an ihr berührt? Es sind sicherlich Momente ihrer radikalen Verletzlichkeit, Menschlichkeit, Zweifel, die hinter ihrer Schönheit in Filmen und Interviews immer wieder hervorblitzten - Echtheit.
Warum trauerten Millionen von Menschen weltweit um Lady Di, als sie 1997 bei einem Autounfall starb? War es die öffentlich inszenierte, glamouröse Person, für die hunderttausende Blumen vor dem Buckingham Palace abgelegt wurden? Sicherlich nicht. Ihr scheues Lächeln in die Kameras, verletzlich, zweifelnd. Fotos von ihr, glücklich oder leidend, in denen sie sich unbeobachtet fühlte, nicht nach Aufmerksamkeit gierend. Es verband sie mit jedem von uns - und blieb in Erinnerung. Wir freuten uns für sie und zweifelten mit ihr, wir waren Lady Di.
Auch in Bezug auf Ruhm gilt die bereits angesprochene Fokussierungsillusion. Die Glückswirkung von Erfolg durch Ruhm kann massiv überschätzt werden. Der berühmte Schauspieler Anthony Hopkins, heute 83 Jahre alt, scheint genau diese Erfahrung gemacht zu haben und hielt in einem Interview mit der britischen Zeitung "The Guardian" fest: "Wissen Sie, ich treffe junge Menschen, die schauspielern und berühmt werden wollen, und ich sage ihnen: ‚Wenn Du’s geschafft hast, dann ist da oben nichts. Das meiste ist Blödsinn, eine Lüge. Akzeptiert das Leben, wie es ist, und freut euch daran, am Leben zu sein.‘"
Was die Unsterblichkeit durch Ruhm anging, hatte auch der Regisseur Woody Allen stets Zweifel und stellte in einem Interview scherzhaft fest: "Ich will nicht unsterblich durch meine Arbeit werden. Ich will unsterblich werden, indem ich nicht sterbe. Ich will nicht in den Herzen der Leute weiterleben, ich will in meinem Apartment weiterleben." Hierauf könnten wir ihm antworten, indem wir auf die Unsinnigkeit des Strebens nach Unsterblichkeit verweisen. Der Sinn unseres Lebens erfüllt sich in dem Moment, in dem wir es leben. Unser Leben ist ein Gedicht oder ein Tennisschlag. Indem wir es aufsagen, den Schlag ausführen, erfüllt sich unser Sinn. Als Allen seine Filme kreierte, erfüllte sich der Sinn seines Schaffens: kein unsterbliches, sondern ein ewiges Werk.