Beim rot-grünen Streit um das sperrige Thema Wahlrecht geht es um mehr als Grundmandate - eine Analyse.
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Wien. Es war bei den Koalitionsverhandlungen 2010 eine der wichtigsten Bedingungen der Grünen für eine Partnerschaft mit der SPÖ: Die Zusage der roten Bürgermeisterpartei, dass das Wiener Wahlrecht in der gemeinsamen Legislaturperiode zugunsten der kleineren Parteien geändert werde – das derzeitige Wahlrecht ist mehrheitsfördernd und hilft damit am meisten der stärksten Partei, der SPÖ. Mit den anderen beiden Parteien unterzeichneten die Grünen zuvor noch einen Notariatsakt. Darin verpflichten sich Grüne, FPÖ und ÖVP, dass dieses gemeinsame Ziel durch "Einbringung und Beschluss eines entsprechenden Initiativantrags die Wahlrechtsreform beschlossen wird." Unabhängig davon, wer mit den Roten in der Stadtregierung sitzt.
Kein Spielraum
Danach wurde es allerdings still um die Forderung der Wiener Kleinparteien. Die Grünen wollten in der Koalition keinen Streit vom Zaun brechen, die Roten den Status quo beibehalten. Am Ende der Legislaturperiode haben die Grünen das Thema nun wieder aufgegriffen. Ungewohnt aggressiv attackierte man zuletzt den Koalitionspartner, um diesen an den Verhandlungstisch zu bringen. Viele Beobachter sahen sogar das vorzeitige Aus der Koalition und vorgezogene Wahlen kommen.
Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, wurde für Montag eine Sondersitzung einberufen. Beide Parteien kommunizierten zuvor der Öffentlichkeit ihre definitiven Kompromissvorschläge.
Das heiß diskutierte Problemfeld lautet Mandatsverteilung. Es geht dabei vor allem um die Vergabe der Grundmandate. Zur Information: Die Grundmandate werden ermittelt, indem die Wahlzahl für die Verteilung in den Wahlkreisen nach der Formel "gültige Stimmen dividiert durch Zahl der Mandate plus 1" berechnet wird. Die Grünen wollten das "plus 1" ganz gestrichen haben. Zuletzt konnten sie sich aber auch einen Kompromiss vorstellen. Man solle sich "in der Mitte" treffen, also die Formel auf "Zahl der Mandate plus 0,5" ändern, sagte Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou. Zusatz: Mehr Spielraum gibt es nicht.
Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) antwortete, er lasse sich nicht unter Druck setzen und bot ebenfalls einen definitiven Kompromissvorschlag. Demnach will sich die SPÖ höchstens auf "plus 0,75" einlassen. Die "Wiener Zeitung" berichtete.
Eine Lösung des Streits gab es nach der Sondersitzung nicht. Die Reform soll aber bis zur dritten Jännerwoche stehen, legte sich Häupl fest. Ob man sich gestern, Montag, angenähert hat beziehungsweise welchen Spielraum es angesichts der Patt-Situation rund um die künftige Mandatsverteilung noch gibt, wollte er nicht kommentieren. Vassilakou berichtete nach Sitzungsende von "konstruktiven Gesprächen": "Wir haben Hintergründe und Standpunkte ausgetauscht und werden nun schnell eine Lösung suchen." Die Karten würden nun auf dem Tisch liegen. Genauso wie Häupl versicherte sie, dass die Wien-Wahl ungeachtet des Wahlrechtsstreits planmäßig im kommenden Herbst stattfinden werde.
So abstrakt und sperrig das Thema auch sein mag. Für die Parteien steht viel auf dem Spiel. Es geht um die Festlegung der Spielregeln. Jene Regeln, die bestimmen, wer wie viel Macht erhält.
Kratzer im Gesamtbild
Eine lange Diskussion über das mehrheitsfördernste Wahlrecht von ganz Österreich würde den beiden Parteien mehr schaden als nützen. Denn in der Öffentlichkeit ist dieses Thema aufgrund seiner Sperrigkeit eher unbeliebt. Auch das bis dato weitgehend harmonische Bild ihrer eigenen Regierungsperiode könnte durch einen veritablen Krach zerstört werden. Schließlich ist die Diskussion um das Wahlrecht der letzte große offene Punkt der rot-grünen Koalition. Und der letzte Eindruck ist oftmals der stärkste.
Feststeht auch: Wer seinen definitiven Kompromissvorschlag nicht durchbringt, wird sich im kommenden Wahlkampf vom Koalitionspartner vorführen lassen müssen. Die Grünen würden zusätzlich Gegenwind von den anderen Oppositionsparteien zu spüren bekommen. Auch weil dann die Verpflichtungsvereinbarung nicht eingehalten wurde. Das Image des grünen Beiwagerls würde an der Partei ebenso hängen bleiben.
Dem potenziellen Grün-Wähler müsste man zudem erklären, warum es in der vergangenen Legislaturperiode nicht gelungen ist, die Machtstrukturen der Roten zu brechen. Für eine Partei, die sehr viel wert auf Basisdemokratie legt, ein schwerwiegendes Versäumnis.
Der letzte Trumpf
Aber auch die Roten können sich ein Nachgeben nicht erlauben. Frei nach SP-Klubobmann Rudolf Schicker "Wir sind eine machtbewusste Partei" würde dies wie ein Kniefall vor dem Juniorpartner wirken. Damit müsste sich die SPÖ die Frage gefallen lassen, wie man große Probleme lösen wolle, wenn man sich nicht einmal gegen den kleinen Koalitionspartner durchsetzen kann.
In Hinblick auf die kommende Koalition sitzt die SPÖ auf dem längeren Ast. Die Roten haben mit der ÖVP auch eine andere Option als künftigen Koalitionspartner. Man müsste also nicht auf die Forderung der Grünen eingehen.
Den letzten Trumpf haben hingegen die Grünen in der Hand. Sollte man mit der SPÖ zu keinem Ergebnis kommen, könnte man die Koalition noch vor der Wahl platzen lassen und mit den anderen Parteien die SPÖ überstimmen.