Keine Mehrheit in der Frage um die Sperrminorität. | Sorgen um Jobs überschatteten die Jubelbilanz. | Hamburg. Eine Woche nach seinem 71. Geburtstag hätte es am Donnerstag für den Porsche-Patriarchen Ferdinand Piech und seinen "Ziehsohn", Volkswagen-Vorstandschef Martin Winterkorn, bei der VW-Hauptversammlung in Hamburg ein absolut strahlend schöner Tag werden können.
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Winterkorn präsentierte den rund 2500 im Congress-Centrum erschienenen Aktionären nicht nur die Rekordbilanz des Jahres 2007 mit einem auf 6,2 Mrd. Euro verdreifachten Vorsteuergewinn, sondern auch glänzende Zahlen für das erste Quartal 2008 und ebenso glänzende Aussichten für das Gesamtjahr - nach vier Monaten hat der VW-Konzern heuer den Absatz erneut um sieben Prozent gesteigert und wuchs damit fast vier Mal so stark wie der Weltmarkt.
"Langfristig haben wir durch den Einstieg von Porsche das Potenzial, der größte und beste Automobilhersteller der Welt zu werden", so Winterkorn.
Wirklich perfekt passte am Donnerstag jedoch nur das Wetter: Lebhaften Applaus erntete Winterkorn nicht für die Verlautbarung der Rekordzahlen, sondern erstmals erst bei der Ankündigung, im Gegensatz zu anderen Automobilherstellern auch heuer wieder weltweit 8500 zusätzliche Mitarbeiter einzustellen, davon die Hälfte in Deutschland. Sorgen um Arbeitsplätze und Standorte bei Europas größtem Autobauer überschatteten angesichts des heftigen Machtkampfs zwischen den beiden größten Anteilseignern Porsche und Niedersachsen die Jubelbilanz.
Der Streit schwelt seit Monaten und mündete nun in zwei gegensätzliche Anträge an die Hauptversammlung. Der im Besitz der Familien Porsche und Piech stehende Stuttgarter Sportwagenbauer Porsche hält mittlerweile knapp 31 Prozent der VW-Anteile und hat die Übernahme der Mehrheit angekündigt. Man will den starken Einfluss des Bundeslandes Niedersachsen bei VW beschränken und die Sperrminorität auf 25 Prozent erhöhen. Volkswagen soll ein "normales" Unternehmen werden, argumentiert man - auch angesichts der von der EU verfügten Aufhebung des alten VW-Gesetzes. Die Regierung in Hannover wehrt sich dagegen und will in der Satzung des Konzerns die 20-prozentige Sperrminorität beibehalten, die dem Land Niedersachsen - es hält 20,1 Prozent der VW-Stammaktien - Vetorechte bei wichtigen Entscheidungen, etwa bei der Schließung von Standorten, sichert.
Mitarbeiter protestieren
Zuletzt war der Ton noch rauer geworden. Auch eine Aufsichtsratssitzung am Mittwoch hatte keine Annäherung gebracht: über einen Antrag Niedersachsens, den die Arbeitnehmervertreter unterstützt hätten, wurde nicht abgestimmt. Die Arbeitnehmer stehen in dem Machtkampf der Aktionäre traditionell auf der Seite des Landes.
Am Morgen vor Beginn der Hauptversammlung protestierten rund 800 VW-Mitarbeiter vor dem Congress-Centrum gegen den Kurs von Porsche, in mehreren VW-Werken wurden für Informationsveranstaltungen die Bänder angehalten. VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh warf Porsche-Vorstandschef Wendelin Wiedeking "Allmachts-Phantasien" vor, er sieht die Unabhängigkeit von Volkswagen gefährdet. Sollte sich der Sportwagenbauer durchsetzen, wollen die Arbeitnehmervertreter bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, kündigte er an.
Im Hauptstreitpunkt zwischen den Arbeitnehmern in Wolfsburg und dem neuen VW-Großaktionär in Stuttgart, der Struktur der neuen Beteiligungsholding, stehen die Kontrahenten einander schon am kommenden Dienstag vor Gericht gegenüber. Der Betriebsrat klagt dagegen, dass für die mehr als 360.000 VW-Mitarbeiter nur drei Arbeitnehmervertreter im Porsche Aufsichtsrat sitzen sollen, genauso viele wie für die etwa 11.500 Porsche-Beschäftigten.
Vor Gericht landen dürfte auch die Causa Sperrminorität: Für den Abend zeichnete sich bei der Kampfabstimmung in Hamburg keine entscheidende Mehrheit in der Frage ab - die Satzung, die in derzeit geltender Fassung nur mit einer Mehrheit von 80 Prozent des anwesenden Kapitals geändert werden kann, dürfte vorerst in Kraft bleiben. Während in Berlin noch am Donnerstagabend Bundeskanzlerin Angela Merkel und Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff den Entwurf eines neuen "EU-konformen VW-Gesetzes" diskutierten, prüfen die Porsche-Anwälte nun ein gerichtliches Vorgehen.