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Machtkampf in Russland: Putins Strippenzieher tritt ab

Von WZ-Korrespondentin Inna Hartwich

Politik

Vize-Premier Surkow muss nach Kritik an Hardlinern den Hut nehmen.


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Moskau. Paukenschlag vor Russlands langen Mai-Feiertagen: Wladislaw Surkow, Putins Virtuose der Macht, tritt ab. "Freiwillig", wie er betont. "Unter Druck", wie manche seiner Weggefährten sagen. Weil das System, das er geschaffen hatte, ihn selbst gefressen hat? Für Russlands Innenpolitik ist der Abgang des 48-Jährigen jedenfalls eine Zäsur. Surkow, der einst Vizechef der Kreml-Verwaltung war, verlässt den Posten des Vize-Regierungschefs.

Zwölf Jahre lang galt er vielen als die Nummer drei im russischen Staate - gleich nach Präsident Wladimir Putin und Premier Dmitri Medwedew. Der Spitznamen hatte er viele: Strippenzieher im Kreml, graue Eminenz, Putins Rasputin. Sie alle unterstreichen die Rolle, die Surkow im System Putin gespielt hatte. Einem System, das er mit aufgebaut hat - als Architekt der "Machtvertikale". Auf seinem Posten in der Kreml-Verwaltung organisierte Surkow die Zusammenarbeit zwischen Kreml, Parlament, Wahlkommission und den Parteien, zudem regelte er die Kommunikation mit den Medien. Damit hatte er alle Bereiche in der Hand. Er ließ die Putin ergebene Jugendbewegung "Naschi" gründen und kremlloyale "Oppositionsparteien" wie Gerechtes Russland erschaffen. Vor allem aber schenkte er Putin das Konzept der "souveränen Demokratie". Formal erfüllt sie demokratische Anforderungen und verhüllt dabei elegant das autoritäre System.

Im Dezember 2011, als nach den offensichtlich gefälschten Parlamentswahlen hunderttausende Russen auf die Straßen gingen, schob Putin Surkow in die Regierung ab. Für ihn eine Degradierung. Fortan musste sich der Tschetschene väterlicherseits, der in den 1990ern auch mal für Chodorkowski, den heutigen Staatsfeind Nummer 1, arbeitete, um die bürokratische Regierungsarbeit kümmern. Putin, den Surkow einst als "von Gott Gesandten" bezeichnete, wandte sich sukzessive ab. Auch deshalb, weil Surkow angesichts der Massendemos plötzlich offen vor der "Illusion der Stabilität" warnte und auf die Gefahr einer Explosion hinwies. An der London School of Economics kritisierte er kürzlich die Situation in seiner Heimat. Die "falschen Leute" würden viel zu sagen haben, meinte er. Diese "Leute" aber verstanden ihn richtig. Es war vor allem Russlands oberste Ermittlungsbehörde gemeint, die mit immer härterer Hand gegen Andersdenkende im Land vorgeht. Mit ihrem Sprecher geriet der studierte Ökonom öffentlich in einen Streit und war nach seinem Londoner Auftritt zum Abschuss freigegeben, zumal Putin die Regierung Medwedew erst vor drei Tagen öffentlich abkanzelte - und Surkow ihm konterte.

Für die Opposition sei Surkows Abgang ein "beunruhigendes Signal". "Die Hardliner haben die Macht im Kreml endgültig übernommen", meint der Menschenrechtler Lew Ponomarjow.