Peking - Chinas Kommunistische Partei steht an einem Wendepunkt. Geplant ist die erste ordentliche Machtübergabe in der Geschichte der Volksrepublik. In einem historischen Schritt soll auch der Klassenkampf beendet werden. Parteichef Jiang Zemin will die neue Schicht der Privatunternehmer in die Partei aufnehmen. Doch Linke fürchten den Ausverkauf an die Kapitalisten. Fraktionen ringen um ihren Einfluss und die Besetzung von Posten. Die Machtkämpfe haben jetzt nach Angaben von Diplomaten zu einer Verschiebung des für September geplanten 16. Parteikongress auf November geführt.
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"Es gibt jede Menge Probleme", sagte ein Diplomat. "Die Führungsfragen sind noch nicht gelöst." Mit Sorge wird beobachtet, dass vielleicht sogar der lange erwartete Generationswechsel in Frage stehen könnte. Er sollte nicht nur die Partei- und Regierungsspitze verjüngen, sondern den ganzen Apparat.
Den Sommer über halten sich hartnäckig Gerüchte, dass der 76-jährige Jiang Zemin doch nicht den Parteivorsitz an den 59-jährigen Vizepräsidenten Hu Jintao abgeben wird, sondern nur das Präsidentenamt im nächsten März.
Zwar gibt es Petitionen, Jiang Zemin solle bleiben, doch konkrete Hinweise gibt es dafür nicht. Bisher wurde erwartet, dass Jiang Zemin wie einst der Reformarchitekt Deng Xiaoping nur den Vorsitz in der mächtigen Militärkommission behalten wird. Als Oberbefehlshaber könnte er dann im Hintergrund die Fäden ziehen. Da aber das System so undurchsichtig ist, wuchern die Spekulationen. Und das Politbüro ist durchaus für Überraschungen gut. So wurde 1997 auf dem letzten Parteitag völlig unerwartet der drittmächtigste Mann, Parlamentschef Qiao Shi, aus fadenscheinigen Altersgründen abserviert.
Gründe für das Bleiben Jiang Zemins werden viele diskutiert: So stecke China im Umgang mit Taiwan und den USA in einer kritischen Phase. Auch säßen seine Gefolgsleute nicht fest genug im Sattel. Es heißt sogar, er wolle noch Parteichef sein, wenn China möglicherweise nächstes Jahr seinen ersten Astronauten ins All bringt. Auch wird gesagt, er wolle sein ideologisches Erbe noch in die Tat umsetzen.
So soll der Parteitag seine Idee der "Drei Vertretungen" neben den Mao Zedong-Ideen und der "sozialistischen Marktwirtschaft" von Deng Xiaoping in die Parteiverfassung schreiben. Die Theorie gipfelt darin, dass die Partei "fortschrittliche Produktivkräfte", eben Privatunternehmer, aufnehmen soll. Doch die orthodoxen Linken wittern Verrat, formieren sich vielleicht zur letzten Schlacht, während die Propaganda unablässig an die Einheit der Partei appelliert.
Dagegen gibt es für Diplomaten und Beobachter gewichtige Gründe, warum Jiang Zemin Platz machen sollte. Immerhin werde der Generationswechsel seit zehn Jahren vorbereitet. Wenn der 76-Jährige bliebe, dann gäbe es auch keinen Grund, warum etwa der 73-jährige Parlamentschef Li Peng gehen sollte, der gerne an der Macht bliebe. Klappt die Nachfolge nicht, wäre es ein Rückschlag für das politische System, ein Zeichen für Instabilität. Vor allem würde es den seit zehn Jahren aufgebauten "Thronfolger" Hu Jintao schwer schädigen, da er trotz Unterstützung von Jiang Zemin unfähig erscheinen muss, die Macht aus dessen Händen zu übernehmen.