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Machtpoker auf Italiens Kosten

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik
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Die Wahl des neuen Staatspräsidenten ist entscheidend für die Regierungsbildung


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Rom. Es werden bereits Wetten angenommen, wer Italiens nächster Staatspräsident wird. Als Favorit gilt Ex-Ministerpräsident Romano Prodi: Wer beim Anbieter "Bet2875" zehn Euro auf ihn setzt, bekommt im Fall seiner Wahl 16,50 Euro zurück. Für Berlusconi-Intimus Gianni Letta gäbe es 18,50 Euro.

Man sollte meinen, angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse müsste die Regierungsbildung im Vordergrund stehen. Doch den Palazzo, das Machtsystem der italienischen Politik, bewegt vor allem eine Frage: Wer wird Nachfolger von Staatspräsident Giorgio Napolitano (87)? Das Ringen steht möglichen Neuwahlen im Weg: Mitte Mai läuft Napolitanos siebenjähriges Mandat ab. Gemäß Verfassung darf ein Präsident in den letzten sechs Monaten der Amtszeit das Parlament nicht auflösen.

In ruhigen Zeiten ist das Amt mit dem des Bundespräsidenten zu vergleichen. In bewegten Momenten wie jetzt ist der Staatspräsident Garant der politischen Stabilität. Außerdem sitzt er dem Obersten Rat der Richter (CSM) vor; eine sensible Position angesichts der viel gescholtenen italienischen Justiz.

Weil die Bildung einer Regierung von allen Seiten blockiert wird, berief Giorgio Napolitano vor Tagen zehn Experten, die mit konkreten politischen Vorschlägen die festgefahrenen Positionen der Parteien aufweichen könnten. Valerio Onida, Leiter der politischen Arbeitsgruppe, sorgte nun für einen Eklat: Bei einem Scherzanruf italienischer Radiomoderatoren sagte der Verfassungsrechtler, Ex-Premier Silvio Berlusconi (PdL) sei schon alt - "hoffentlich wird er bald die Pension genießen." Der Einsatz der Expertengruppen sei zudem "sinnlos". Napolitano wolle nur die Zeit überbrücken - es werde ohnehin bald zu Neuwahlen kommen.

Berlusconi will Justizpardon

Dafür ist jedoch die Wahl des Napolitano-Nachfolgers der Schlüssel. Wie an einem politischen Schachbrett sitzen sich Pier Luigi Bersani, Chef der Linksdemokraten (PD) und Ex-Premier Silvio Berlusconi (PdL) als Vertreter der beiden stärksten Pole im Parlament gegenüber. Die entscheidende Partie beginnt mit der konstituierenden Sitzung der zwei Parlamentskammern und den ersten Wahlgängen am 18. April. Im Moment hat Mehrheitsführer Bersani die Trümpfe in der Hand, weil seine Partei den neuen Staatspräsidenten fast im Alleingang bestimmen kann. Nach dem dritten Wahlgang genügt die absolute Mehrheit. Nur knapp 15 Stimmen müssten sich die Linksdemokraten für ihren Kandidaten etwa in der Partei von Noch-Ministerpräsident Mario Monti besorgen.

Vor diesem Szenario, zum Beispiel mit Romano Prodi (PD) als neuem Staatspräsidenten, graut es dem 76 Jahre alten Berlusconi. Er verlangt einen Kandidaten, der ihn im Fall seiner definitiven Verurteilung in den Prozessen um Steuerhinterziehung und Prostitution Minderjähriger begnadigen würde und die Richter im Zaum hielte. Das wäre etwa mit seinem Kandidaten Gianni Letta gegeben, der aber für den PD nicht in Frage kommt. Berlusconi spricht sich für eine große Koalition aus, spekuliert aber wegen guter Umfragewerte auf rasche Neuwahlen. Eine Koalition mit Berlusconi will Bersani nicht eingehen, weil seine Partei dann bei den eigenen Wählern unglaubwürdig würde.

Parteiintern Kritik an Bersani

Bersanis Taktik ist nun, Berlusconi mit einem Kompromisskandidaten aus der Reserve zu locken, etwa mit Ex-Premier Giuliano Amato oder dem ehemaligen Senatspräsidenten Franco Marini, die beide dem PD nahestehen. Im Gegenzug dafür soll Berlusconi einer PD-Minderheitsregierung freie Bahn lassen, die sich ihre Mehrheit Gesetz für Gesetz sucht. Dafür müsste der künftige Staatspräsident Bersani erneut ein Mandat erteilen. Der riskante Machtpoker geht in die entscheidende Phase: Für die kommenden Tage ist ein Treffen zwischen Bersani und Berlusconi geplant. Bersani kommt unterdessen in den eigenen Reihen unter Druck. Sein im Rennen um die Spitzenkandidatur unterlegener Parteirivale und Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, artikuliert seinen Unmut immer lauter. Bersani ist doppelt angeschlagen: Er hat bei der Wahl einen hohen Vorsprung und den sicher geglaubten Sieg für die Sozialdemokraten verspielt und ist durch die gescheiterten Versuche der Regierungsbildung angezählt.

Renzi würden bei einem neuerlichen Urnengang viel bessere Chancen eingeräumt - allerdings hatte sich die Parteibasis erst bei einer Urabstimmung Anfang Dezember 2012 für Bersani ausgesprochen. Diese Wahl unter den PD-Wählern müsste wiederholt werden, bevor Renzi zur Parlamentswahl antreten könnte. Innerhalb von wenigen Wochen ist das kaum zu bewerkstelligen.

Silvio Berlusconi wünscht sich schon im Juni Neuwahlen, realistischer wäre ein Termin frühestens im Juli. Eine andere Variante wäre die Einsetzung einer Übergangsregierung, die unter anderem ein neues Wahlgesetz ausverhandeln müsste. Darauf konnten sich PD und PdL aber seit Jahren nicht einigen. Und es ist nicht gesagt, dass die Blockade gelöst wäre: Solange sich am Wahlausgang nichts ändert, stünden einander bei jedem fairen System drei etwa gleich große Blöcke - Bersanis PD, Berlusconis PdL und Grillos Fünf-Sterne-Bewegung - unversöhnlich gegenüber.