Ägyptens Militär geht mit großer Härte | gegen Muslimbrüder vor.
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Kairo. Mohamed Mursi sitzt hinter Gittern. Die Staatsanwaltschaft hat Haftbefehl gegen ihn erlassen. 15 Tage lang wird er nun in Untersuchungshaft gehalten. Danach kann um jeweils weitere 15 Tage verlängert werden. Nachdem der erste frei gewählte Präsident Ägyptens durch Massenproteste und die Intervention der Armee vor über drei Wochen gestürzt wurde, wuchs der Druck auf die Militärs, die ihn seitdem an einem geheimen Ort festhielten. Vor allem die westlichen Länder, allen voran die Vereinigten Staaten, forderten die Freilassung Mursis. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich besorgt über die Entwicklungen in Ägypten und forderte die Übergangsregierung auf, beliebige Festnahmen und andere Formen der Schikane zu unterlassen. Der jetzt erfolgte Haftbefehl soll offensichtlich dem Vorgehen der Armee eine gewisse rechtliche Legitimation verleihen. Außer Mursi wurden bisher weitere rund 600 Kader der Muslimbruderschaft, aus deren Reihen der Islamist und Ex-Präsident stammt, verhaftet und ohne Anklage festgehalten.
Mursi wird vorgeworfen, mit der radikal-islamischen Palästinenserbewegung Hamas zusammengearbeitet zu haben. Diese soll ihm 2011 bei der Flucht aus dem Gefängnis geholfen haben, wo er aufgrund von Protesten gegen den damaligen Präsident Husni Mubarak einsaß. Außerdem wird gegen ihn wegen einer möglichen Beteiligung an der Tötung von Wärtern und Gefangenen sowie wegen der Entführung von Soldaten ermittelt. Wie die staatliche ägyptische Nachrichtenagentur Mena berichtet, habe bereits ein Staatsanwalt den abgesetzten Staatschef dazu befragt. Hamas weist die Vorwürfe energisch zurück. Ein Sprecher der Organisation im Gazastreifen nennt sie "eine große Lüge". Die Verhaftung Mursis löste weitere Empörung bei seinen Anhängern aus, die seit gestern Nachmittag wieder in Massen an die Plätze vor der Rabaa al-Adawija-Moschee im Kairoer Stadtteil Nasr City und in Giza vor der Universität strömen.
Ausschreitungenfordern Todesopfer
Auch in der Industriestadt Alexandria versammelten sich Anhänger und Gegner des gestürzten Präsidenten, dort kam es schon in den frühen Abendstunden zu gewalttätigen Ausschreitungen. Zwei Menschen kamen ums Leben, 19 wurden verletzt. Die Gewalt in der Hafenstadt ließ nichts Gutes für Kairo erwarten. Tatsächlich kam es im Verlauf des Tages auch hier zu Ausschreitungen. Denn auch der Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt füllte sich am Nachmittag immer mehr, als die Gegner Mursis sich versammelten, , um ihre Unterstützung für Abdel Fattah al-Sisi zu bekunden. Der Verteidigungsminister und Armeechef hatte zu Solidaritätskundgebungen aufgerufen, um ihm das "Mandat zur Bekämpfung des Terrors" zu geben. Die Armee kündigte im Internet an, man werde zwar die Waffen nicht auf das Volk richten, wohl aber gegen "schwarze Gewalt und Terrorismus". Muslimbrüder und andere islamistische Gruppen werten dies als eine Einladung zum Bürgerkrieg. Wer ein Terrorist sei und schwarze Gewalt verbreite, obliege wohl der Interpretation der Militärs, mutmaßen sie und befürchten weitere staatliche Übergriffe. Dies würde sich dann nicht mehr von der Ära Mubarak unterscheiden.
Doch der Zuspruch für den neuen starken Mann am Nil ist überwältigend. Schon vor Sonnenuntergang ist der Tahrir-Platz gerammelt voll. Poster mit dem Konterfei des Generals ragen hoch in den Himmel, Spruchbänder weisen Sisi als den Helden vom Tahrir aus. Ein großer Teil der ägyptischen Gesellschaft bekundet Dankbarkeit für seine Hilfe, die Nation von Mursi und den Islamisten befreit zu haben. Angesichts der massiven Unterstützung haben die Militärs den Druck auf die Muslimbrüder noch einmal erhöht. Bis Sonntag haben sie Zeit, sich am Versöhnungsprozess zu beteiligen. Ansonsten müssten sie sich auf ein härteres Vorgehen gefasst machen, heißt es auf einer der Armee nahestehenden Facebook-Seite.
Die Muslimbruderschaft, aus der Mursi stammt, wurde darin nicht explizit erwähnt. Die Mitteilung trug den Namen "Letzte Chance". Darin wird eine neue Strategie im Kampf gegen "Gewalt und Terrorismus" angekündigt, sobald die Massenkundgebungen vorbei sind. Die 48-Stunden-Frist sei "tatsächlich eine politische Einladung", sich an einem Aussöhnungsprozess zu beteiligen. Das bedeute aber nicht, dass die Mursi-Anhänger nach Ablauf der Frist unterdrückt würden. "Warum machen sich diese Leute Sorgen, wenn sie friedlich sind? Wir reden nur von Terroristen." Bislang haben die Muslimbrüder jeden Dialog mit der neuen Staatsführung abgelehnt.
Washington glaubt nicht
an einen Putsch
Unterdessen tun sich die USA schwer, die Ereignisse in Ägypten zu bewerten. "Es ist nicht in unserem nationalen Interesse, eine solche Entscheidung zu treffen", sagte Außenministeriumssprecherin Jennifer Psaki. Zuletzt hat Washington die Lieferung von F-16-Kampfjets an Ägypten gestoppt, betont aber, dass man Mursis Entmachtung nicht als Putsch bewerte und deshalb nicht die Militärhilfe für Kairo aussetze. Aber: "Angesichts der Lage in Ägypten halten wir es nicht für angemessen, derzeit weitere F-16 zu liefern", so das Pentagon.
Reisewarnung
Aufgrund der aktuellen politischen Ereignisse rät das österreichische Außenministerium "von nicht dringend notwendigen Reisen" nach Ägypten ab. Es bestehe ein "hohes Sicherheitsrisiko" in Kairo und anderen Großstädten, insbesondere in der Nil-Delta-Region, wo teils gewaltsame Kundgebungen stattfänden, hieß es am Freitag auf der Homepage des Ministeriums. Im ganzen Land komme es zu Engpässen bei Diesel und Benzin.