Koalition verfügt nur noch über knappe Mehrheit im Parlament.
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Warschau/Brüssel. Die guten Nachrichten verbreitet die Regierung ebenfalls auf dem Videoportal YouTube. Und da es sich um die eigene Internetseite handelt, sind es auch lauter Erfolge, die das Kabinett von Premier Donald Tusk mit markanten kurzen Sätzen und zu flotter Musik preist. Zwei Jahre nach dem - neuerlichen - Amtsantritt der polnischen Mitte-Rechts-Koalition zieht diese zur Halbzeit Bilanz. Doch das positive Resümee der eigenen Arbeit ändert nur wenig daran, dass das Bündnis mit massiven internen Wirren zu kämpfen hat.
Denn der gemäßigt konservativen Bürgerplattform (PO) von Ministerpräsident Tusk gehen nicht nur Abgeordnete verloren, sondern der Regierung selbst die Minister. Von manchen Mitgliedern - wie Ex-Justizminister Jaroslaw Gowin - musste sich das Kabinett, das die PO mit der Bauernpartei PSL bildet, wegen unterschiedlicher Auffassungen trennen, von anderen aufgrund diverser Affären. So hatte zuletzt Verkehrsminister Slawomir Nowak auf sein Amt zu verzichten, weil er die Herkunft einer teuren Armbanduhr auf seinem Gelenk nicht glaubwürdig erklären konnte.
Nun kündigt Tusk eine weitere Regierungsumbildung an, die den Austausch gleich mehrerer Minister bedeuten könnte. Wenn der Premier nämlich beweisen möchte, dass er noch die Kontrolle habe, müssten die Änderungen umfassend sein, meinen etliche Beobachter. So spekulieren Medien bereits über den Abschied von Finanzminister Jacek Rostowski - und das zu einem Zeitpunkt, an dem Entscheidungen über die Budgetplanung anstehen. Unklar ist noch, ob Tusk die Umstrukturierung vor oder nach der Fraktionssitzung am Samstag bekannt gibt, bei der Beschlüsse über den Vorstand geplant sind.
Um die Person des Vorsitzenden selbst wird es dabei kaum gehen - Tusks Position ist weiterhin stark. Ähnlich wie Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski von der rechtskonservativen Fraktion PiS (Recht und Gerechtigkeit) lässt er neben sich keine allzu mächtigen Parteirivalen walten. Doch ist die PO durch den Abgang etlicher Parteimitglieder geschwächt: Insgesamt verfügt die Regierung im Sejm über eine denkbar dünne Mehrheit von 231 Parlamentssitzen bei 460 Abgeordneten. Einige Vorhaben drohten dort sogar am Widerstand aus den eigenen Parteireihen zu scheitern. So konnte das Kabinett erst vor kurzem nur knapp ein Referendum verhindern, das eine Schulreform rückgängig machen sollte.
Mit 67 Jahren in Pension
Dabei ist das eine der Neuerungen, deren Umsetzung sich die Regierung auf die Fahnen heften kann. Sie führte dazu, dass die Schulpflicht nun für Kinder bereits mit sechs und nicht mehr mit sieben Jahren beginnt.
Eine größere Herausforderung war aber eine Pensionsreform. Da konnte Tusk durchsetzen, dass das Antrittsalter für Männer und Frauen angeglichen wird und für alle auf 67 Jahre ansteigen soll. Umstellungen im Beitragssystem, das eine Mischung aus staatlicher und privater Vorsorge werden soll, gehören allerdings noch zu den Streitpunkten. Im Zusammenhang damit musste sich der Premier aber noch mehr der Finanzminister Kritik nicht nur von der Opposition, sondern auch vom ehemaligen Nationalbank-Präsidenten Leszek Balcerowicz anhören, der wesentlich an der Transformation der polnischen Wirtschaft nach dem Zusammenbruch des Sozialismus beteiligt war.
Generell könnte die ökonomische Situation der Regierung bald mehr Sorgen bereiten als bisher. War Polen noch vor wenigen Jahren das einzige EU-Land, dessen Wirtschaft nicht schrumpfte, werden sich die Experten in Warschau bald Gedanken machen müssen, wie sie das Budgetdefizit senken und die Unternehmen innovativer machen können. Auch die Arbeitslosigkeit ist gestiegen: Jeder achte Pole hat derzeit keinen Job.
All das drückt auf das Ansehen des Kabinetts Tusk innerhalb der Bevölkerung. In manchen Umfragen liegt der größte Rivale PiS nur noch knapp hinter PO.
Ansehen in der EU
Im Gegensatz dazu scheint das Image der polnischen Regierung auf EU-Ebene weit besser zu sein als zu Hause. Dem haben selbst die Blockaden einiger Angelegenheiten nur wenig geschadet. So hat sich Warschau lange Zeit gegen eine Verschärfung des Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten gewehrt und stellt jetzt schon harte Debatten beim Dezember-Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Aussicht, die sich unter anderem mit der Verteidigungspolitik befassen wollen. Polen möchte sich dafür einsetzen, dass die eigene Rüstungsindustrie ihre Chancen auf dem europäischen Markt besser nutzen kann, indem sie von möglichen Budgeterhöhungen profitieren darf. Andere Länder hingegen plädieren für den freien Wettbewerb.
Dennoch genießt Polen den Ruf, den - nicht zuletzt auf Solidarität beruhenden - europäischen Gedanken besser zu pflegen als so manches andere EU-Mitglied. Schon dachten einige Europamandatare denn auch an eine Spitzenkandidatur Tusks für die Europäische Volkspartei, damit der Premier später einen Spitzenposten in der Kommission übernehmen könnte. Tusk aber machte klar: Er bleibe in Polen. Dort hat er noch genug Gefechte auszustehen.