Am kommenden Montag vor 50 Jahren strahlte das deutsche Fernsehen erstmals eine Sendung aus, die bis heute mit den Geschicken Berlins aufs Engste verbunden ist. | Wie viele berühmte "Berliner" (z. B. der Sachse Heinrich Zille oder die Rheinländerin Claire Waldoff) war auch Hans-Werner Kock "zugereist". Dennoch erreichte der gebürtige Hamburger an der Spree Kultstatus. Ein Hüne von Gestalt, sichtlich leiblichen Genüssen zugetan, dicke Gurkenglasboden-Brillen in breiter Hornfassung über den kurzsichtigen, stets lächelnden Augen, sonore Stimme und unaufgeregte Berichterstattung - das waren die Erkennungsmerkmale von "Mister Abendschau", dem Chefreporter und späteren Moderator der täglichen Berliner Lokalnachrichten-Sendung. Unsterblichkeit erlangte sein stets wiederkehrender Abschiedsgruß am Ende der Sendung: "Macht´s jut, Nachbarn!"
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Dieser Spruch war genial: In Mauerzeiten klang er wie ein Gruß "nach drüben", zu den Brüdern und Schwestern im Ostteil der Stadt. Gleichzeitig konnte man ihn auch als Durchhalteparole für die auf einer "Insel" lebenden West-Berliner hören. Seine väterlich beruhigende Art, Nachrichten zu präsentieren, nahm viel Dampf aus dem politischen Hochdruckkessel Berlin heraus.
Nur einmal merkte man auch Kock innere Bewegung an. Er, der als junger Reporter in den Tagen des Mauerbaues über die gefährliche Konfrontation der beiden Supermächte am Checkpoint Charlie berichtete, durfte den verschlafenen Berlinern am Morgen des 10. November 1989 den Fall der Mauer verkünden.
Das 50-Jahr-Jubiläum "seiner Abendschau" hat Kock nicht mehr erlebt. Er starb vor fünf Jahren. Aber ein Stück Kultur- und Mediengeschichte der deutschen Hauptstadt hat er auf jeden Fall geschrieben.
Und mit ihm natürlich das gesamte Abendschau-Team. Diese lokale Nachrichten-Sendung, kurz vor den Hauptnachrichten der ARD ausgestrahlt, hat in den fünf Jahrzehnten ihrer Existenz das Wohl und Wehe der Berliner - in Ost und West - begleitet und dokumentiert. Über Jahrzehnte hindurch waren Nachrichten aus Berlin oft auch von weltpolitischer Relevanz - selbst simple Unfallmeldungen. Wenn zum Beispiel ein West-Autofahrer in Selbstmordabsicht gegen die Mauer gerast war, durften Polizei oder Feuerwehr erst eingreifen, wenn sich die alliierten Stadtkommandanten darüber geeinigt hatten. Dann war es meist eh zu spät für eine Rettung.
Das Jubiläum brachte auch ein lustiges Paradoxon ans Tageslicht: Anfangs wurden die täglichen Nachrichtensendungen nicht aufgezeichnet. Erst nach der Wiedervereinigung Berlins kam man an das Film- und Video-Material heran, weil die DDR natürlich äußerst penibel jede Minute des West-Fernsehens gespeichert hatte. Viele dieser Ausschnitte wurden in der Hetz-Sendung der DDR gegen Westdeutschland "Der schwarze Kanal" zusammengeschnipselt und tendenziös im Geiste des Kalten Krieges kommentiert. Andererseits nahmen auch die westlichen Sender und Dienste die Ost-Sender ins Visier. Heute kann man also die alten Bilder nur noch in den Belegen des "Klassenfeindes" wieder sehen.
Berlin ist seit Jahrzehnten eine "strukturell" sozialdemokratische Stadt - unbeschadet des längeren Intermezzos der Ära von Weizsäcker-Diepgen. Dies schlägt sich auch in der Klangfarbe der "Abendschau" nieder, die trotz ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags eher auf die rote Karte setzt. Der gelernte Berliner weiß dies aber und nimmt die Schlagseite medienkritisch-gelassen hin.
Dennoch hat die "Abendschau" geschafft, was keinem anderen Medium in Berlin geglückt ist: eine Nachrichtenquelle für alle Berliner zu sein, West wie Ost gleichermaßen.