Analyse: Arbeitnehmer und Niedersachsen sind die Gewinner der VW-Fehde. Piëch könnte sich auch als Großaktionär zurückziehen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ferdinand Piëch hat seine Macht im VW-Konzern vollständig verloren. Es waren sehr überraschende zwei Wochen, die dazu geführt hatten, dass das Präsidium des VW-Aufsichtsrats - Gewerkschaft und Arbeitnehmervertreter, Wolfgang Porsche und das Land Niedersachsen - den Aufsichtsratsvorsitzenden zu diesem Schritt genötigt hat. Das Band im Aufsichtsrat war zerrissen. "Die Mitglieder des Präsidiums haben einvernehmlich festgestellt, dass vor dem Hintergrund der vergangenen Wochen das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendige wechselseitige Vertrauen nicht mehr gegeben ist", wurde am Samstag offiziell mitgeteilt. Folgerichtig haben Piëch und seine Frau Ursula alle Mandate im VW-Aufsichtsrat niedergelegt. Doch wer sind die Gewinner dieses Kampfes? Und wie wird es mit dem Konzern und seinen 600.000 Mitarbeitern weitergehen?
Der Verlust der Mitte
Was Piëch bisher gemacht hat, war immer sehr konsequent angelegt. Doch jetzt, da er seinen letzten großen Kampf verloren hat, ist die Chance, dass er nochmals eine tragende Rolle bei VW spielt, sehr klein. So ist etwa ein Wiedereinstieg in den Aufsichtsrat nicht vorstellbar. Nicht ausschließen sollte man daher auch, dass sich Piëch ebenfalls vollständig aus der Porsche SE zurückzieht. Denn in der gemeinsamen Beteiligungsgesellschaft der Familien Porsche und Piëch, die der größte Aktionär des VW-Konzerns ist, verfügt die Porsche-Seite über eine Mehrheit. Piëch dürfte zudem von Wolfgang Porsche, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Porsche SE, äußert enttäuscht sein, nachdem sich dieser im VW-Machtkampf gegen ihn gestellt hatte.
Warum auch sollte der 78-Jährige bei der Porsche SE als Großaktionär dabei bleiben? Piëch hat die Befürchtung, dass VW unter Martin Winterkorn in die falsche Richtung steuert. Genau deshalb hat er den Machtkampf angezettelt. Er sieht die Gefahr, dass der Konzern wirtschaftlich auf dem falschen Weg ist, denn Winterkorn konnte die Probleme der Kernmarke nicht lösen. Das Effizienzprogramm, das von Winterkorn vor neun Monaten völlig überraschend angekündigt wurde, war nach drei Tagen schon "durchlöchert", nachdem Winterkorn vom Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh genötigt wurde, die Unternehmensberatung McKinsey wieder auszuladen. Winterkorns öffentlichen Erläuterungen zum Effizienzprogramm, das darauf fokussierte, lediglich einige gescheiterte Modelle aus dem Programm zu nehmen, zeigten die strategische Schwäche.
Das Herz des Konzerns hat Probleme. Mehr als 600.000 Mitarbeiter bauen weniger Fahrzeuge als der Weltmarktführer Toyota mit 350.000 Mitarbeitern. Ein Großteil der Mitarbeiter sitzt im Hochlohnland Deutschland, ein bedeutender Teil in Komponentenwerken, die Zulieferteile herstellen, die externe Anbieter billiger produzieren können. Piëch sieht die immer schwächer werdende Marge der Kernmarke, den fehlenden strategischen Ansatz im katastrophal laufenden US-Geschäft. Er sieht, dass die Marke VW sich in eine Sandwich-Position manövriert hat, bei der preisbewusste Kunden zu Skoda abwandern und die premiumorientierten Käufer zu Audi aufsteigen - also den Verlust der so elementaren Mitte. Piëch sieht auch, dass sich die Gewinne in China in Zukunft abschwächen und VW dort Marktanteile verliert.
All das konnte Winterkorn nicht lösen. All das wird mit Winterkorn jetzt weitergehen. All das ist ein hohes Risiko für die Wirtschaftskraft des Konzerns. Also macht es nicht nur machtpolitisch für Piëch keinen Sinn mehr, als Ankeraktionär bei VW zu bleiben, sondern auch ökonomisch.
Überlegungen, die Anteile jetzt zur "besten" Zeit zu verkaufen, könnte auch der zweite wichtige Großaktionär des VW-Konzerns, die Qatar Investment Authority (QIA), hegen, die 17 Prozent aller stimmberechtigten VW-Aktien hält. Die Papiere notieren auf einem Zehn-Jahres-Hoch. Zusammen mit der jetzigen Unsicherheit über die Zukunft des Konzerns macht es Sinn, über einen Ausstieg nachzudenken.
Gefährdete Ränder
Steigen Piëch und Katar bei VW aus, wird es schwer, einen starken unternehmerisch agierenden Großaktionär zu finden. Warum sollte man in ein Unternehmen investieren, bei dem das Land Niedersachsen dank seines 20-Prozent-Anteils ein Veto-Recht hat und strategische Entscheidungen blockieren kann? Ein Unternehmen, in dem darüber hinaus zehn Sitze des 20-köpfigen Aufsichtsrats von der Arbeitnehmerseite gestellt werden.
Die Gewerkschaft und das Land Niedersachsen sind die Gewinner des Machtkampfes bei VW. Und Winterkorn ist mehr denn je zum Mann der Arbeitnehmerseite geworden. Der VW-Chef ist ein exzellenter Qualitätsmanager, der sich detailversessen um jede Schraube persönlich kümmert. Bei der Schraube der Sitzverstellung am Beifahrersitz ist Winterkorn jedoch erfolgreicher als etwa bei der US-Strategie. Es scheint so, als wäre Betriebsrats-Chef Osterloh zum heimlichen Vorstandsvorsitzenden des Konzerns geworden und Winterkorn in der Rolle, jenes 400 Seiten starke Papier abzuarbeiten, das die Vorschläge des Betriebsrats zur Effizienzsteigerung bei VW enthält. Das Dokument hatte Osterloh Winterkorn vor mehreren Monaten öffentlichkeitswirksam auf den Schreibtisch gelegt.
Die wichtige strategische Neuausrichtung der Kernmarke VW kann man sich unter einer solchen Konstellation schwer vorstellen. Der VW-Konzern ist an den Rändern erfolgreich mit Porsche, Audi, Skoda und dem China-Geschäft. Diese Ränder könnten aber schwächer werden. Damit würde das Ganze in eine schwierigere Lage geraten können. Piëch hat seinen Machtkampf verloren. Ob der VW-Konzern, seine Aktionäre und Mitarbeiter damit langfristig auf der Gewinnerseite sind, ist ungewisser denn je. Die Automobilindustrie ist eine sehr wettbewerbsintensive Branche, Schwächen und Ineffizienzen werden hart bestraft. Das hat sogar der langjährige Marktführer General Motors erfahren müssen, als er 2009 in die Insolvenz ging.
Ferdinand Dudenhöffer ist einer der renommiertesten Autoexperten im deutschsprachigen Raum. Der 64-Jährige ist Professor an der Universität Duisburg-Essen und leitet das von ihm gegründete CAR - Center Automotive Research.