In einem Moment, wo ein möglicher Militärschlag in Syrien bevorsteht und Bahnstreiks regelmäßig Frankreich lahmlegen, erklärte der Präsident seine Politik in einem Interview.
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Paris. Nichts, das ist man von Emmanuel Macron inzwischen gewohnt, überlässt er dem Zufall. Das gilt auch für den Zeitpunkt für sein einstündiges Interview, das er dem Privatsender TF1 gestern gegeben hat: Er reagierte damit auf die derzeitige Streikwelle bei der Staatsbahn SNCF, in deren Folge bis Ende Juni im Schnitt an zwei Tagen pro Woche zahlreiche Züge ausfallen. Die Gewerkschaften wehren sich gegen eine geplante Reform, durch die künftigen Mitarbeitern schlechtere Arbeitsbedingungen und der SNCF die Privatisierung drohe - auch wenn Macron erklärte, er wolle die Bahn zwar zu einer Aktiengesellschaft umwandeln, aber das Kapital gehöre dem Staat. "Und zwar zu 100 Prozent, das garantiere ich."
Die umstrittenen Maßnahmen würden trotz der Blockaden umgesetzt, versicherte der Staatschef, dem eine erste größere soziale Krise in seiner Amtszeit droht: "Wir brauchen eine starke französische Eisenbahn und die Reform wird sie stärken."
Außerdem äußerte sich Macron zur sich zuspitzenden Krise in Syrien, nachdem er sich zu Wochenbeginn mit US-Präsident Donald Trump und der britischen Regierungschefin Theresa May über mögliche Angriffe auf die "chemischen Kapazitäten" in dem Bürgerkriegsland ausgetauscht und sich für eine "starke gemeinsame Reaktion" ausgesprochen hatte. In dem Interview sagt Macron, Frankreich habe eindeutige Beweise, dass das Regime Bashar al-Assads für den Giftgasangriff verantwortlich sei.
Macron ließ sich im Privatsender mit den höchsten Einschaltquoten nicht zu den Hauptnachrichten am Abend interviewen, sondern zur Mittagszeit. Dann nämlich schalten besonders viele Rentner ein, die derzeit über ein Sinken ihrer Kaufkraft klagen, aber auch Schichtarbeiter oder Menschen auf dem Land und ohne Job - also all jene, die Macron weniger erreicht als seine Stammwähler, die gut ausgebildeten Stadtbewohner.
Bei den benachteiligten gesellschaftlichen Schichten, die in ihm den "Präsident der Reichen" sehen, sanken seine Beliebtheitswerte zuletzt deutlich. Auch der Ort war symbolkräftig ausgewählt: Macron saß im bunt dekorierten Klassenzimmer einer Volksschule im normannischen Dorf Berd’huis, dessen Einwohner bei der Präsidentschaftswahl vor einem Jahr überwiegend für seine Kontrahentin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, gestimmt hatten. In der Bildung liege der Schlüssel für den Erfolg des Landes, erklärte der 40-jährige Präsident, der konzentriert und selbstbewusst wirkte: "Die Schule, die Innovation sind es, die uns beschützen. Wir werden unsere Sozialversicherung neu gründen, unser Pensionssystem reformieren, das ist unerlässlich."
"Geschwätzige Präsidentschaft" à la Hollande vermeiden
Dabei sind es all diese geplanten Veränderungen, die Widerstand bei vielen Menschen provozieren: Die anstehenden Reformen in vielen Bereichen, von den Universitäten über die Justiz bis zur Arbeitslosenversicherung, bei der es künftig strengere Kontrollen der Jobsuchenden geben soll, verunsichern. 50 Jahre nach der 1968er-Bewegung, die bei und in Paris ihren Anfang nahm, streiken die Studenten erneut, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß. Macron versuchte, mit umfassenden Erklärungen seiner Politik in die Offensive zu gehen gegenüber dem Vorwurf, sich allzu rar in den Medien zu machen. Aus seinem Umfeld hieß es, man wolle eine "geschwätzige Präsidentschaft" wie unter dem Vorgänger François Hollande vermeiden. Dieser rechnete gerade in seinem Buch "Die Lektionen der Macht" mit seinem früheren Wirtschaftsberater und -minister Macron, von dem er sich offensichtlich verraten fühlte. Er kritisiert auch Macrons "narzisstische Amtsausübung": "Er weiß sein Gegenüber zu verführen, indem er schnell errät, was in dessen Ohren angenehm klingt." Von Macrons steuerlichen Maßnahmen profitierten in erster Linie die Superreichen, schreibt Hollande, der bei Reformen für umfangreiche Verhandlungen plädiert. "Jedes Mal, wenn ich zu schnell oder zu brutal voranschreiten wollte, wurde ich nicht verstanden", heißt es in seinen "Lektionen".
Dabei hat es Macron zu seinem Markenzeichen gemacht, schnell zu handeln. Und trotzdem, so versuchte er zu versichern, höre er die Sorgen der Menschen: "Vieles ist seit einem Jahr passiert. Die Welt dreht sich zu schnell und unser Land hat gemacht, was es seit Langem hätte tun sollen." Um noch mehr davon zu überzeugen, setzt er seine Medienoffensive fort: Am Sonntag stellt er sich erneut zwei Stunden lang den Fragen von zwei Journalisten, die als besonders schonungslos berüchtigt sind.